Wie Frauen sich ihren Platz in der akademischen Welt eroberten

Unbeliebt und nicht gern gesehen in wissenschaftlichen Kreisen. Das waren Frauen lange Zeit an den Hochschulen Deutschlands. Ausnahmeerscheinungen in einer Männerdomäne. Obwohl die Weimarer Verfassung 1919 die Gleichberechtigung von Männern und Frauen verankerte, trug ein herber Rückschlag dazu bei, dass die Zahl der Studentinnen bis 1945 unter zehn Prozent lag. Erst seit den 1990 Jahren studieren etwa genauso viele Frauen wie Männer. Und steigen nach und nach auch in Führungspositionen in der Wissenschaft auf.

Unvorstellbar! Was der bekannte Philosoph, Schriftsteller und Pädagoge Jean-Jacques Rousseau 1762 in seinem Werk „Émile oder über die Erziehung“ („Émile, ou De l’éducation“) schrieb, wäre heute ein Eklat. Dabei galt er als Revolutionär der Pädagogik und als Aufklärer.

Obwohl zu dieser Zeit Wochenschriften bereits das Bild einer gelehrten Frau vermittelten, stand Rousseau für ein Geschlechterbild, das in Philosophie, Theologie und Medizin noch lange vorherrschte:
„So muß sich die ganze Erziehung der Frau im Hinblick auf die Männer vollziehen. Ihnen gefallen, ihnen nützlich sein, sich von ihnen lieben und achten lassen, sie großziehen, (…) sie beraten, sie trösten, ihnen ein angenehmes und süßes Dasein bereiten; das sind die Pflichten der Frau zu allen Zeiten, das ist, was man sie von Kindheit an lehren muß.“

Mutige Frauen rebellieren

Kein Wunder, dass dieses Rollenverständnis zu einer Trennung der Aufgaben von Frauen und Männern führte. Mädchen wurden anders erzogen als Jungen. Während sie sich auf Haushaltsführung, Moral und Religion verstehen sollten, wurden nur Jungen auf eine akademische Bildung vorbereitet. Höhere Bildung konnten sich ohnehin nur Reiche leisten. Doch nicht alle Frauen wollten sich mit der ihnen zugedachten Rolle zufriedengeben – so wie Laura Bassi.

Schon als Mädchen fiel sie als „Wunderkind“ auf, bestand im April 1732 ihre zweistündige öffentliche Doktorprüfung und wurde 1776 Professorin für Physik: die erste Universitätsprofessorin Europas. Ebenso ungewöhnlich war der Werdegang von Dorothea Christiane Erxleben (1715–1762), die als Tochter eines Arztes schließlich mit Sondergenehmigung ihr medizinisches Examen ablegen durfte und 1754 zur ersten promovierten Ärztin Deutschlands wurde.

Doch beide hatten eines gemeinsam: Sie waren große Ausnahmen. Und mussten um ihre Zulassung kämpfen. Denn Mädchen konnten eine Bedingung nicht erfüllen, die eine Voraussetzung für ein Studium war. Bis 1899 blieb ihnen das Abitur verwehrt.

So stand jungen Frauen bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts nur der Weg in Lehrerinnenseminare offen, um als Erzieherin oder Lehrerin an einer privaten Mädchenschule zu arbeiten. Diejenigen, die sich als Gasthörerinnen an Universitäten einschrieben, hatten keinen Zugang zu Laboren, Seminaren oder Bibliotheken und konnten keine akademischen Grade erlangen.

Der langersehnte Durchbruch

Bis Henriette Goldschmidt 1867 eine Revolution anstieß. Die Frauenrechtlerinnen der damaligen Zeit waren sich einig. Es gab nur einen Weg zu mehr Gleichberechtigung: Eine reformierte Mädchenbildung. So stellte Henriette Goldschmidt auf der ersten Versammlung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) eine Petition vor. Die Forderung: Frauen gleichberechtigten Zugang zum Studium zu verschaffen, vor allem zum Medizinstudium. Denn es sei unschicklich und anstößig, wenn eine Frau von einem männlichen Arzt untersucht würde.

Doch erst 1893 ging ihr Traum in Erfüllung. Den Anstoß dazu gab Hedwig Kettler. Sie war an die Landtage des deutschen Kaiserreichs herangetreten, doch nur das liberale Großherzogtum Baden hatte ihre Bitte erhört. So durfte sie in Karlsruhe das erste deutsche Mädchengymnasium eröffnen. Sechs Jahre später legten Rahel Goitein (später Straus; 1880–1963), Magdalena Meub (später Neff; 1881–1966), Johanna Kappes (1879–1933) und Auguste Mainzer als erster Jahrgang die Abiturprüfung ab, und zwei von ihnen studierten Medizin.

Endlich gleichberechtigt?

Das hatte den Stein ins Rollen gebracht. Nur ein Jahr später öffneten sich badische Universitäten offiziell für Studentinnen, 1908 wurde das Frauenstudium auch in anderen Ländern des Deutschen Reiches erlaubt. Schließlich wurde 1919 in der Weimarer Verfassung die Gleichberechtigung von Männern und Frauen verankert und das Bildungssystem in ganz Deutschland reformiert.

Fortan konnten Mädchen unter denselben Bedingungen das Abitur ablegen wie Jungen und an Universitäten studieren. Bis eine politische Wendung der Gleichberechtigung einen gehörigen Dämpfer verpasste.

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„Wir waren daran gewöhnt, als Frauen von den Männern herumkommandiert zu werden. Aber immer hatte ich gedacht, was mache ich eigentlich falsch, dass die sich so komisch mir gegenüber verhalten?“

Sarah Haffner (1968 in Berlin)

Ein herber Rückschlag

Von einem Moment auf den anderen änderte sich alles. Der zaghafte Samen der Gleichberechtigung wurde im Keim erstickt. Als das NS-Regime 1933 an die Macht kam, führte es das antiquierte Rollenbild wieder ein: Frauen sollten fürsorgliche Mütter und Hausfrauen sein und so dem Reich dienen.

Unter ihrer Propaganda drängten die Nationalsozialisten Frauen aus dem öffentlichen und akademischen Leben zurück und sorgten mit dem „Frauenzulassungsgesetz“ dafür, dass unter den Studierenden maximal zehn Prozent weiblich sein durften.

Das änderte sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg nur langsam.

Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes dauerte es, bis Frauen in die Wissenschaft zurückkehrten. Obwohl sie bereits ab 1945 ihr Recht auf ein Studium zurückerhielten, gab es bis 1954 in der Bundesrepublik Deutschland keine einzige Lehrstuhlinhaberin und insgesamt nur neun außerordentliche Professorinnen, die Vorlesungen hielten.

In der DDR lag der Frauenanteil der Studierenden von Anfang an höher – bei 25 Prozent statt 17 Prozent wie in Westdeutschland.

Doch wahre Gleichberechtigung gab es noch lange nicht. Das zeigt das Schicksal der Physikerin Lise Meitner. Jahrzehnte lang erforschte sie gemeinsam mit Otto Hahn die Radioaktivität und die Kernspaltung. Als Hahn 1945 rückwirkend den Nobelpreis für Chemie erhielt, ging Lise Meitner leer aus. Dies gilt bis heute als eine der größten Ungerechtigkeiten der Wissenschaftsgeschichte.

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„Das Schöne war auch, sie war hochschwanger, hatte rote Haare, stand im grünen Kleid da und schmiss diese Tomaten. Na ja, das war ein Aufruhr, und da haben sich am gleichen Abend in jeder Universitätsstadt Frauengruppen gegründet.“

Helke Sander (1968)

Was ein Tomatenwurf veränderte

Erst ein Tomatenwurf brachte die Wende. Geworfen wurden diese 1968 von einer wütenden Sigrid Rüger auf der Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes SDS in Frankfurt am Main. Helke Sander, eine Vertreterin des Aktionsrates zur Befreiung der Frauen, hatte in einer Rede angemahnt, Kindererziehung und Hausarbeit seien keine Privatsache, sondern politisch. Und das solle der SDS anerkennen, weil es sonst einen Machtkampf geben würde.

Als die SDS-Genossen nicht bereit waren, diese Rede zu diskutieren, sondern einfach zur Tagesordnung übergehen wollten, warf Sigrid Rüger als Zeichen des Protestes Tomaten in Richtung Vorstandstisch. Das war der Startschuss für die zweite Welle der Frauenbewegung und eine Bildungsoffensive folgte. So begannen immer mehr Frauen ein Studium und beschlossen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Auch politisch tat sich einiges. Gesetze wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), umgangssprachlich auch als Antidiskriminierungsgesetz bekannt, und das Bundesgleichstellungsgesetz wurden verabschiedet. Doch nach wie vor gab es deutlich weniger Frauen in akademischen Führungspositionen.

So begannen Politik und Universitäten Mentorings, Netzwerke und Förderprogramme ins Leben zu rufen und Gleichstellungspläne zu entwickeln. Internationale Kooperationen förderten den Austausch über Standards und Praktiken.

Statistik

Während 1964 noch doppelt so viele Jungen wie Mädchen das Abitur machten, überholten diese die Jungen in den 1980er Jahren.

Wo wir 2022 stehen

Eins ist klar: Es ist viel geschehen. Mittlerweile studieren in den meisten Fächern genauso viele Studentinnen wie Studenten, in manchen sogar mehr. Auch bei den Bachelor- und Masterabschlüssen sowie den Doktorarbeiten ist kein Unterschied zwischen den Geschlechtern mehr zu erkennen.

Nur an einer Stelle besteht nach wie vor ein Ungleichgewicht: An deutschen Hochschulen gibt es nur knapp 30 Prozent Professorinnen, der Rest ist von Männern besetzt (Zahlen aus 2022). Die gute Nachricht: Es ist ein stetiger Aufwärtstrend bei der Anzahl an Professorinnen zu verzeichnen.

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„In einem von uns durchgeführten Forschungsprojekt wurde uns deutlich, dass unhinterfragte, oft an männlichen Wissenschaftsbiographien orientierte Vorstellungen von ‚Exzellenz‘ ein Feld sind, dem wir uns in Zukunft kritisch(er) widmen müssen.“

Professorin Ute Klammer

(Direktorin des Instituts Arbeit und Qualifikation und Professorin für Sozialpolitik an der Universität Duisburg-Essen)

Wie gelang Wissenschaftlerinnen der Aufstieg in die Führungsriege?

Der Blick zurück verrät vieles. Etwa, dass Frauen viele Jahre gegen Stereotype und Vorurteile ankämpfen mussten und ihnen im 19. und 20. Jahrhundert nur Netzwerke und wohlgesonnene Mentoren es ermöglichten, in der Wissenschaft Fuß zu fassen.

Nur diejenigen, die sowohl die finanziellen Mittel als auch den Mut hatten, für Sondergenehmigungen zu kämpfen, gelang ein Einstieg und Verbleib in die Wissenschaft.

Die frühen Pionierinnen gingen ihren Weg mit viel Entschlossenheit und Widerstandsfähigkeit, um sich in einer männlich dominierten Umgebung zu behaupten. Dies hat auch Margarete von Wrangell immer wieder bewiesen. Ihr Auftreten und starker Charakter wurden von vielen Zeitzeugen erwähnt.

Letztlich kommt aber hinzu, dass sie sich ihr Studium deshalb leisten konnte, weil sie als Adlige über die finanziellen Mittel verfügte.

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„Als viel größere Herausforderung als das Frau-Sein habe ich das Eltern-Sein in der Wissenschaft erlebt. (…) Frauen müssen sich oft zum selben Zeitpunkt darum kümmern, in der Wissenschaft Fuß zu fassen und eine Familie zu gründen.“

Dr. Pauline Fleischmann

(Neuroethologin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Verhaltensphysiologie und Soziobiologie der Universität Würzburg)

Worauf es heute ankommt

Das ist heute anders. Die Währung der Wissenschaft sind längst nicht mehr allein die Netzwerke. Vielmehr gelten die Anzahl und Qualität von Publikationen und das erfolgreiche Einwerben von Forschungsmitteln als Maßstab – auch bei der Bewerbung auf eine Professur. Weil die Phase der Qualifizierung oft mit der Familiengründung zusammenfällt, haben Wissenschaftler:innen mit kleinen Kindern allerdings weniger Zeit, diese Voraussetzungen zu erfüllen.

Ob jemand Professor oder Professorin wird, hängt also nicht nur von der akademischen Qualifikation, sondern auch von den Lebensumständen ab.

So sind Frauen als Präsidentinnen, Dekaninnen oder Professorinnen in wissenschaftlichen Einrichtungen weiterhin unterrepräsentiert. Und dass, obwohl Hochschulen in ganz Deutschland eine Vielzahl von Gleichstellungsprogrammen eingeführt haben.

Nach wie vor scheinen trotz aller Fortschritte in erster Linie immer noch eher Frauen bereit zu sein, für Kinder ihre Karriereziele zurückzustecken.

Wie sich Deutschland im internationalen Vergleich schlägt

Wie also steht Deutschland im internationalen Vergleich dar? Gar nicht schlecht. Doch wie so oft haben die skandinavischen Länder die Nase vorn. Bei ihnen ist der Anteil an Professorinnen höher, und sie haben umfassendere Gleichstellungsprogramme. Im Vergleich zu den USA oder Großbritannien macht Deutschland aber keine schlechte Figur. Dort sehen die Zahlen ähnlich aus, während es im südeuropäischen und asiatischen Raum in vielen Ländern noch größere Unterschiede zwischen den Geschlechtern in höheren akademischen Stufen oder der Universitätsverwaltung gibt.

Klar ist: Die Erfolge kamen und kommen nicht von allein. Sondern gesetzliche Regelungen oder Förderung wie das bundesweite Professorinnenprogramm oder das landesweite Margarete von Wrangell Fellowship haben bei den Fortschritten eine wesentliche Rolle gespielt. Genauso haben die öffentliche Debatte und Vorbilder dazu beigetragen, Barrieren abzubauen und Karrierechancen zu verbessern. Das zeigt auch ein Beispiel aus der heutigen Männerdomäne Informatik, die mit den Entwicklungen der britischen Mathematikerin Ada Lovelace (1815–1852) begann und in der noch im 20. Jahrhundert in zahlreichen Programmier-Schritten Frauen arbeiteten.

Die Carnegie Mellon University bewies Anfang des 21. Jahrhunderts, welch große Rolle die Rahmenbedingungen spielen. Der amerikanischen Universität gelang es nämlich, den Anteil von Studentinnen im Informatikstudium von 1995 bis 2002 von 7 auf 45 Prozent zu steigern. Vor allem, weil sie eine neue Grundlagenveranstaltungen für Programmierung mit geringen Vorkenntnissen einführte und Informatiklehrer:innen an High Schools zum Thema „Gender Gap“ schulte. Das zeigt, was wir verändern können, wenn wir mehr Frauen für technische Berufe gewinnen wollen.

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„Als Frau ist das Netzwerken mit anderen Frauen in ähnlichen Situationen sehr hilfreich (…) Die größten Herausforderungen meiner nun fast abgeschlossenen Promotionszeit lagen in der Finanzierung meiner Promotionsstelle und in den zeitlichen Befristungen von Arbeitsverträgen.“

Daniela Schob

(Doktorandin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Technische Mechanik und Maschinendynamik an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenber)

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