Portrait Stefanie Lemke

Interview mit der Wrangell-Fellow Professorin Stefanie Lemke

Wie meine Forschung in Südafrika meine Karriere von Grund auf veränderte

Stefanie Lemke schlug erst spät den wissenschaftlichen Karriereweg ein, nachdem sie bereits sechs Jahre als Ernährungsberaterin gearbeitet hatte. Doch mit einer Doktorarbeit in Südafrika kehrte sie in die Forschung zurück. Erst mit dem Wrangell-Fellowship fiel jedoch der Entschluss, der Wissenschaft treu zu bleiben.

Seit 2021 befasst sich Stefanie Lemke an der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien damit, wie Menschen in verschiedenen Ländern mit nachhaltigen Ernährungssystemen ihre Lebensgrundlage sichern können. Im Interview erzählt sie, wie ihre Auslandsaufenthalte ihren Blick veränderten und was ihre größte Herausforderung war.

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„Ich kann mit meiner Forschung dazu beitragen, an gesellschaftlichen Veränderungen mitzuwirken.“

Stefanie Lemke

Wann haben Sie Ihre Leidenschaft für die Wissenschaft entdeckt?

Meine Bestimmung habe ich erst im Studium gefunden. Eigentlich wollte ich nach dem Abitur ein Jahr ins Ausland gehen und praktisch arbeiten. Doch dann hatte ich Bedenken, dass ich so ganz ohne Ziel den Faden verlieren könnte. Im Nachhinein war es richtig, gleich mit dem Studium zu beginnen. Ich hatte mich an der TU München-Weihenstephan für einen Studienplatz in Haushalts- und Ernährungswissenschaften beworben, weil das interdisziplinäre Studium mit Fächern aus Natur- und Sozialwissenschaften sehr gut für mich gepasst hat. Von dort habe ich dann eine Zusage bekommen.

Eigentlich war für das Pflichtpraktikum nur ein halbes Jahr vorgesehen, doch ich habe es auf mehr als ein Jahr erweitert und vielfältige Erfahrungen gesammelt: in der Verbraucherzentrale Bayern in München, in mehreren Großküchen, beim Auswertungs- und Informationsdienst für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten e.V. (AID) in Bonn – später aid Infodienst e.V. – , und bei der Selbsthilfeorganisation ANAD e.V. in München für Menschen mit Essstörungen. Damals ist mir klar geworden, dass ich als Wissenschaftlerin Fachsprache in eine andere Sprache übertragen muss, um Menschen zu erreichen. Durch diese Erfahrungen hat sich mein Bezug zu sozialen Themen entwickelt.

Dass ich mal den Weg zur Professur einschlagen würde, war damals nicht klar. Nach dem Studium habe ich mehrere Jahre als Angestellte gearbeitet, erst in Dresden als Leiterin für ein Projekt zur mobilen Verbraucheraufklärung kurz nach der Wende.

Als das mobile Projekt in die neu etablierten Verbraucherzentralen in den neuen Bundesländern überging, nahm ich eine Stelle in der Ernährungsberatung der AOK in Bad Tölz im Süden von München an und bin dort fünf Jahre geblieben. Die Beratungsarbeit hat mich zwar einerseits sehr erfüllt, aber ich habe gespürt, dass mich noch andere Themen interessieren.

Den Ausschlag für meinen Weg in die Wissenschaft hat mein Mann gegeben. Er ist Geologe und ist im Rahmen seiner Doktorarbeit nach Südafrika gegangen. Ich wollte ihn begleiten und habe beschlossen, dort ebenfalls zu promovieren. Mein ehemaliger Professor an der TU München-Weihenstephan, Joachim Ziche, hat mir den Freiraum dazu gegeben. Vor meiner Abfahrt sagte er mir: „Finden Sie dort Ihr Thema, und dann melden Sie sich bei mir.“ Er hatte selbst mehrere Jahre in Sambia gelebt und wusste, dass es wichtig ist, sich Zeit zu nehmen und den lokalen Kontext kennenzulernen. Allerdings hat das für mich bedeutet, dass ich noch einmal komplett von vorne anfangen musste.

Es war die große Wende in meinem Leben. Ich ging in ein Land, das sich im politischen und gesellschaftlichen Umbruch befand – das war 1997, relativ kurz nach den ersten freien Wahlen nach dem Ende der Apartheid. Südafrika hat eine der höchsten Gewaltraten, vor allem gegenüber Frauen. Gerade die ärmere Bevölkerung ist Gewalt ausgesetzt. Dieses Thema hat mich sehr berührt, ebenso wie die bis heute andauernde extreme soziale Ungleichheit.

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„Meine größte Herausforderung war es wohl, nach sechs Jahren Berufserfahrung meinen sicheren Job in Bayern aufzugeben, nach Südafrika zu gehen und nochmal von Null zu starten.“

Stefanie Lemke

Was war die größte Herausforderung auf Ihrem Karriereweg?

Herausforderungen gab es viele. Die größte war wohl, nach insgesamt sechs Jahren Berufserfahrung meinen sicheren Job in Bayern aufzugeben, nach Südafrika zu gehen und nochmal von Null zu starten. Ohne Kontakte und ohne Finanzierung in einem ganz neuen Umfeld. An der North West University fand ich ein Forschungsprojekt, an dem ich teilnehmen konnte. Für ein ernährungsphysiologisches Thema hätte es eine Finanzierung gegeben, aber es war nicht das, was ich machen wollte.

Vielmehr wollte ich mich dem Thema „Ernährungssicherung mit Blick auf soziale Faktoren“ widmen – damals noch ein Randthema. Das war riskant, aber dafür hatte ich die Freiheit, mein Thema selbst zu bestimmen. Auch wenn ich so keine Finanzierung hatte.

Anfangs lebte ich von meinen Ersparnissen und hielt meine Ausgaben so gering wie möglich. 

Erst in der letzten Phase der Doktorarbeit erhielt ich ein Stipendium im Rahmen des Hochschulsonderprogramms (HSP III) der TU München – das hat sehr geholfen, meine Arbeit gut abzuschließen.

Genauso eine Herausforderung für mich waren die Nachwirkungen der Apartheid. Die konservative Universität war noch stark geprägt von rassistischen Vorurteilen. Das war für mich sehr befremdlich und schwer zu akzeptieren. Es gab anfangs kaum farbige Studierende, und die farbigen Menschen auf dem Campus haben nicht in der Wissenschaft, sondern überwiegend als Hausmeister, Gärtner oder Reinigungskraft gearbeitet.

Es war ein langer Weg des Wandels, ich habe die Spannungen hautnah miterlebt. Meine Zeit im Ausland hat dazu geführt, dass ich Vieles sehr zu schätzen weiß, was wir oft als selbstverständlich ansehen.

Hatten Sie eine Mentorin oder ein Vorbild?

Mein größtes Vorbild ist meine Mutter. Ich habe immer bewundert, wie sie mit drei Kindern ihren Beruf als Lehrerin ausgeübt hat. Mein Vater war beruflich viel unterwegs, sie hatte im Alltag keine Unterstützung von Großeltern, die damals weit weg wohnten. Mit 41 hat sie dann noch einmal ein Studium zum Lehramt an Sonderschulen (Anmerkung: heute Förderschule) in München absolviert. Ich glaube, ihr Weg hat mich inspiriert, aus dem Berufsleben heraus nochmal an die Universität zurückzugehen.

Meine Eltern haben mich immer unterstützt, meiner Leidenschaft zu folgen. Sie glaubten daran, dass ich meinen Weg finden würde, dieses Grundvertrauen hat mich sehr getragen.

Ich hatte sowohl weibliche als auch männliche Mentoren. Zuerst einmal Professor Joachim Ziche, mein Doktorvater an der TU München-Weihenstephan. Er hat mir Rückhalt gegeben, weil er bereit war, mich quasi aus der Ferne zu betreuen und mir ermöglicht hat, mein eigenes Thema zu finden.

Er hat dafür gesorgt, dass ich mit meinem ersten veröffentlichten Konferenzbeitrag ein kleines Stipendium beantragen konnte. Es waren nur 5.000 DM, für mich aber damals ein großes Geschenk, denn ich hatte kein Einkommen in Südafrika. Es war auch die erste Anerkennung für meine wissenschaftliche Arbeit und hat mich bestärkt, weiterzumachen. Diese Unterstützung hat mir viel bedeutet. Bis heute habe ich Kontakt zu Professor Ziche, der mittlerweile im Ruhestand ist. Er interessiert sich nach wie vor dafür, was ich mache.

In Südafrika hat mich Professorin Este Vorster in ihr Forschungsprojekt aufgenommen. Ich kam ja auf eigene Initiative, zur damaligen Zeit war ich eine der ganz wenigen europäischen Studierenden an dieser Universität. Sie war Ernährungsphysiologin, hat aber erkannt, dass mein damals noch neues Thema Ernährungssicherung zukünftig wichtig werden würde.

Später als Postdoc an der Universität Gießen und Gastwissenschaftlerin in Südafrika konnte ich zeitweise bei ihr und ihrem Mann wohnen. Auch später habe ich sie regelmäßig besucht. Leider sind beide inzwischen verstorben.

Außerdem hat mich der Sozialanthropologe Dr. Fanie Jansen van Rensburg sehr unterstützt. Ich habe ihn an der Universität kennengelernt und bin fast jeden Tag zu ihm gegangen, um Bücher auszuleihen. Wir haben viel über gesellschaftliche Themen und Methoden für meinen Forschungsansatz gesprochen.

Er hat mir dabei geholfen, meine Bedenken zu überwinden, als weiße Europäerin in Afrika zu forschen. Seine Worte sind mir noch heute im Ohr und ich gebe sie an Studierende weiter, die ähnliche Fragen haben wie ich damals. Er war eine große Stütze für meine Arbeit vor Ort und ist bis heute ein guter Freund.

An der Universität Gießen war es Professorin Ingrid-Ute Leonhäuser, die mir ermöglicht hat, mein eigenes DFG-Projekt nach der Doktorarbeit auf die Beine zu stellen und so die weitere Finanzierung zu sichern.

Später an der Universität Hohenheim war Professorin Anne Bellows meine Mentorin. Mit ihr habe ich mich fachlich sehr intensiv ausgetauscht und durch sie den Zugang zu meinem heutigen Forschungsschwerpunkt Menschenrecht auf Nahrung gefunden. Sie war es auch, die mir empfohlen hat, mich auf das Margarete-von-Wrangell-Fellowship zu bewerben.

Als sie 2013 in die USA zurückging, übernahm ich die Vertretung des Lehrstuhls. Professorin Regina Birner wurde nach dem Weggang von Anne Bellows meine Mentorin und hat mich in der wichtigen Abschlussphase der Habilitation unterstützt. Erwähnen möchte ich auch Professorin Iris Lewandowski, sie hat mir Zuversicht gegeben, den akademischen Weg weiterzuverfolgen.

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„Als Ernährungsberaterin ist mir klar geworden, dass ich Fachsprache in eine andere Sprache übertragen muss, um Menschen zu erreichen. So hat sich mein Bezug zu sozialen Themen entwickelt.“

Stefanie Lemke

Wann war für Sie klar, dass Sie Professorin werden wollten?

Professorin zu werden war ursprünglich nicht mein Ziel und ich war nie sicher, ob ich in der Wissenschaft bleiben würde. Diese Unsicherheit hat mich nach der Doktorarbeit ständig begleitet. Als ich nach Deutschland zurückkam, hatte ich keine Kontakte mehr und musste wieder einmal von vorne anfangen.

Doch meine Doktorarbeit hat mir eine neue Möglichkeit eröffnet, weil sie mit dem Preis des Verbandes der Diplom-Ökotrophologen ausgezeichnet wurde. Dadurch ist Professorin Ingrid-Ute Leonhäuser auf mich aufmerksam geworden und lud mich ein, mich auf eine Ausschreibung der Universität Gießen zu bewerben. So konnte ich bei der DFG meine eigene Stelle einwerben. Das war der nächste Schritt.

Obwohl ich insgesamt nur etwa vier Jahre an der Universität angestellt war – als wissenschaftliche Mitarbeiterin und als Vertretungsprofessorin – und mich während als auch nach der Doktorarbeit überwiegend selbst finanziert habe, galt die Befristung auf insgesamt 12 Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an Universitäten in Deutschland auch für mich.

Das habe ich als ungerecht empfunden und habe manchmal mit dem Gedanken gespielt, in die Ernährungsberatung zurückzugehen. Das war immer meine Alternative, wenn es in der Wissenschaft nicht weitergegangen wäre.

Nur in wenigen anderen Ländern ist es so wie in Deutschland nötig, für eine Professur noch einmal ein großes wissenschaftliches Werk abzuliefern.

In England, Südafrika und vielen anderen Ländern gibt es andere Bewertungsstufen, bei denen natürlich auch Publikationen und das Einwerben von Forschungsmitteln zählen. Als ich mich auf das Wrangell-Fellowship beworben habe, war das für mich die Entscheidung, diesen Weg weiterzugehen und mich auf meine Habilitation vorzubereiten.

Gleichzeitig habe ich während meiner Habilitation 2013 die Vertretungsprofessur für Anne Bellows übernommen. So habe ich einen guten Einblick in Universitätsstrukturen bekommen. Dadurch habe ich sowohl intern in Hohenheim als auch nach außen eine ganz andere Sichtbarkeit erhalten. Ich bin damals durch die Doppelbelastung aber teilweise auch an meine Belastungsgrenze gekommen.

Diskussion Focus-Gruppe

Prof. Stefanie Lemke: Diskussion Fokus-Gruppe

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„Ohne das Wrangell-Fellowship wäre ich wohl keine Professorin geworden.“

Stefanie Lemke

Wie bewerten Sie das Wrangell-Fellowship im Rückblick?

Sehr positiv! Ohne das Wrangell-Fellowship wäre ich vermutlich keine Professorin geworden. Es hat mir die Habilitation ermöglicht, die wieder neue Türen geöffnet hat. Ich habe dadurch einen wertvollen Freiraum bekommen. Was mir besonders gefallen hat, war der Austausch mit den anderen Fellows. Zu sehen, dass sie ganz ähnliche Themen und Herausforderungen hatten, auch was das Selbstwertgefühl und die Anerkennung in der Wissenschaft angeht.

Ich nehme in meinem Umfeld wahr, dass Frauen sich teilweise immer noch zu sehr hinterfragen. Deshalb finde ich den Austausch unter Frauen wie beim Wrangell-Programm sehr gut und wichtig.

Damals war ich in einem Umfeld, in dem höhere Positionen überwiegend von Männern bekleidet waren. Das prägt natürlich. Allein zu wissen, dass mein Thema es wert ist, gefördert zu werden, hat mir Mut gemacht. Es war eine Form der Anerkennung, die mir geholfen hat, sichtbarer zu werden.

Das Fellowship hat mir quasi die Berechtigung gegeben, mich meinem Thema widmen zu können. Auch wenn ich natürlich wusste, dass es keineswegs sicher sein würde, ob sich für mich nach meiner Habilitation eine Professur auftun würde.

Wenn ich das Wrangell-Fellowship mit meinem DFG-Stipendium vergleiche, sehe ich den Vorteil in der Lehrerfahrung. Das DFG-Stipendium – in meinem Fall damals die ‚Eigene Stelle‘ – war ein schönes Gesamtpaket aus Stelle, Reisekosten, Forschungsmitteln und einer zusätzlichen Doktorandenstelle. Damit konnte ich mich völlig auf meine Forschung konzentrieren.

Beim Fellowship war ich fest im Institut und in die Lehre sowie andere Abläufe eingebunden und habe so auch administrative Erfahrung gesammelt. Das halte ich für einen sehr guten Ansatz.

Brauchen Frauen überhaupt noch spezielle Förderprogramme oder Unterstützung?

Ich würde sagen ja, weil wir offensichtlich noch nicht genug Frauen in der Wissenschaft in höheren Positionen haben. Zwar machen Frauen je nach Fachgebiet teilweise mehr Doktorarbeiten oder sogar Habilitationen, aber danach steht oft die Entscheidung für oder gegen eine Familie an. Und die wissenschaftliche Karriere ist nun mal mit vielen Unsicherheiten behaftet – natürlich auch für Männer.

Wenn wir bei der Kinderbetreuung irgendwann mal so weit sind, dass sich Mütter und Väter wirklich gleichberechtigt einsetzen, wäre bestimmt auch ein Familienprogramm sinnvoll. Wie schwer es ist, die wissenschaftliche Karriere und das Privatleben zu vereinbaren weiß ich aus eigener Erfahrung. Deshalb bin ich dafür, erfolgreiche Programme fortzuführen und gegebenenfalls anzupassen.

Es wäre wichtig, familienfreundliche Konzepte in der Wissenschaft und die Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Karriere und Familie für Frauen und Männer stärker zu fördern.

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„Ich habe an der Universität Hohenheim deutlich gespürt, dass sich die Atmosphäre verändert hat, als mehr Frauen berufen wurden.“

Stefanie Lemke

Haben Sie sich je benachteiligt gefühlt, weil Sie eine Frau sind?

Ich habe mich nie direkt benachteiligt gefühlt. Aber es ist schon so, dass das gesamte Wissenschaftssystem nach wie vor männlich geprägt ist. Drei Beispiele aus meiner persönlichen Erfahrung: Als ich 2003 an die Universität Gießen kam, habe ich mit einer Professorin zusammengearbeitet, die neben ihrem Lehrstuhl an einem Forschungszentrum als einzige Frau engagiert war. Sie hatte das Gefühl, sich mehr beweisen zu müssen als die männlichen Kollegen.

Das zweite Beispiel ist die Universität Hohenheim. Als ich dort 2008 anfing, waren an der Fakultät Agrarwissenschaften nur sehr wenige Professuren von Frauen besetzt. Ich habe deutlich gespürt, dass sich die Atmosphäre verändert hat, als mehr Frauen berufen wurden.

An der Universität für Bodenkultur in Wien, wo ich jetzt arbeite, waren nach dem Bericht Gleichstellung und Diversität an der Universität für Bodenkultur Wien, 2019/2020 in der Gruppe der Universitätsprofessuren insgesamt weniger als ein Drittel Frauen. Ich bin die erste Professorin am Department für nachhaltige Agrarsysteme.

Mehr zu schaffen gemacht hat mir eine andere Frage. Nämlich „Wie geht es weiter?“ Die wenigen Stellen im sogenannten Mittelbau, also die Stellen nach der Doktorarbeit, und die damit verbundene Unsicherheit waren eher eine Herausforderung für mich.

Ist es schwieriger geworden, den wissenschaftlichen Karriereweg einzuschlagen?

Nach der Doktorarbeit stehen viele am Scheideweg. Es gibt nur wenige unbefristete Stellen. Für mich war es damals wichtig, meinen eigenen Weg zu finden, und dazu ermutige ich Studierende und Mitarbeitende auch heute. Dabei unterstütze ich mit gemeinsamen Forschungsanträgen, dem Weiterleiten von Stellenangeboten oder anderen Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln.

Auch in Österreich gibt es die Kettenvertragsregelung, mit etwas anderen Rahmenbedingungen als in Deutschland – in Österreich ist es möglich, nach Ablauf der Zeit an eine andere Universität zu gehen, in Deutschland nicht. Natürlich lebt eine Universität auf der anderen Seite von Dynamik und Austausch. Aber es braucht mehr Perspektiven.

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„Meine Auslandserfahrung hat meinen Blick verändert. Wenn ich sehe, welche Herausforderungen junge Menschen in Afrika haben und sie trotzdem ihre Zuversicht nicht verlieren, dann denke ich, wir können viel von ihnen lernen.“

Stefanie Lemke

Wie blicken Sie auf das zurück, was Sie erreicht haben?

Ich habe meinen Weg nie bereut. Ich kann das machen, was ich für sinnvoll halte und in meiner Forschung und auch in der Lehre meiner Leidenschaft folgen. Wenn ich sehe, welche Herausforderungen junge Menschen in vielen Ländern haben, zum Beispiel in Afrika, und wie sie trotz allem etwas verändern wollen und ihre Zuversicht nicht verlieren, dann denke ich, wir können viel von ihnen lernen.

Ich kann mit meiner Forschung dazu beitragen, an gesellschaftlichen Veränderungen mitzuwirken.

Durch meine Auslandserfahrung habe ich einen anderen Blick auf die Dinge bekommen. In England hatte ich das erste Mal in meiner wissenschaftlichen Karriere eine unbefristete Stelle an der Universität.

In Hohenheim konnte ich mich nicht auf die Nachfolge des Lehrstuhls bewerben, da damals Hausberufungen nicht zugelassen waren.

Im Nachhinein war es genau der richtige Schritt, nach England zu gehen, das hat meinen Horizont nochmals sehr erweitert. Doch mit dem Brexit wurden die Bedingungen ungünstiger und so kam die Ausschreibung an der Universität für Bodenkultur in Wien zum richtigen Zeitpunkt. Diese hat auch thematisch genau zu meinem Forschungsgebiet gepasst. Natürlich war die Bewerbung kein einfacher Prozess, zumal damals im Corona-Lockdown alles nur online lief.

Nun habe ich das Gefühl, in Wien angekommen zu sein und kann wichtige und spannende Entwicklungen mitgestalten.

Gruppenfoto Forschungsreise Uganda

Prof. Stefanie Lemke: Gruppenfoto Forschungsreise in Uganda

Aktuelle Forschung

Unsere große Herausforderung heute ist die Klimakrise und die nachhaltige Ernährungssicherung. In meiner Forschung geht es unter anderem darum, wie Menschen, vor allem in Afrika, aber auch in Europa, von der Landwirtschaft mit immer schwierigeren Rahmenbedingungen ihren Lebensunterhalt sichern können. Dafür arbeite ich mit sozialen Bewegungen und Organisationen der Zivilgesellschaft zusammen. Ein großes Thema dabei ist der Zugang zu Land, vor allem für Frauen, die oft kein Recht haben, Land zu besitzen. Es geht darum, kollektive Landrechte zu stärken, für Frauen, Männer und vor allem die Jugend, damit sie unter anderem den Investorengruppen etwas entgegensetzen können. Denn Land ist ein knappes Gut und für große Agrarinvestitionen oder Wiederaufforstungsprojekte, oft als Teil von Klimaprojekten, begehrt.

Doch viele dieser Projekte beziehen die Menschen vor Ort nicht mit ein. Wie können sie ihren Lebensunterhalt und ihre Ernährung sichern? Welche Perspektiven gibt es für Jugendliche und kleinbäuerliche Betriebe? Die Menschen vor Ort müssen mitbestimmen können und selbst umsetzen, was für sie sinnvoll ist. Wir können Prozesse methodisch begleiten und Daten sammeln, um Ergebnisse auch empirisch belegen zu können und letztlich Druck auf die Politik zu machen, die die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen muss, damit das Recht auf Nahrung und Ernährung für alle Menschen umgesetzt werden kann.

Männer sollten viel stärker mit einbezogen werden. Denn es bringt nichts, wenn für Frauen Ernährungsprogramme geplant werden, sie aber keine Mitsprache über das Haushaltsgeld, den Zugang zu Land oder die Familienplanung haben und die Männer oder Schwiegermütter am Ende das letzte Wort haben.

Übrigens ist die Gleichberechtigung in Europa genauso ein Thema. In der Landwirtschaft in Österreich, Deutschland oder der Schweiz beispielsweise arbeiten Frauen häufig im Betrieb mit, sind aber offiziell teils nicht registriert als Teilhaberin. Wenn es zur Trennung kommt, haben sie oft keine Absicherung. Auch die Fürsorgearbeit liegt noch überwiegend bei den Frauen. Es geht darum, gesamtgesellschaftliche Strukturen zu verändern.

In einem EU-Projekt arbeiten wir mit partizipativer Aktionsforschung gemeinsam mit kleinbäuerlichen und anderen Betrieben im ländlichen Raum daran, Familien, vor allem Frauen, zu stärken und mehr Zusammenhalt zu schaffen, und ebenso die Politik zu bewegen, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen.

Steckbrief

Name: Stefanie Lemke

Jahrgang: 1965

Forschungsgebiet:
Das Menschenrecht auf angemessene Nahrung und Ernährung, Rechte von Frauen, Gender, Intersektionalität, nachhaltige Ernährungssysteme, Ernährungssicherung und Existenzsicherung, nachhaltiges Management von Ressourcen

Universität und Lehrstuhl:
Institute of Development Research, Department of Sustainable Agricultural Systems, University of Natural Resources and Life Sciences, Vienna
Institut für Entwicklungsforschung, Department Nachhaltige Agrarsysteme, Universität für Bodenkultur, Wien

Familie: verheiratet, keine Kinder

Portrait Stefanie Lemke

Stefanie Lemkes Werdegang

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Diplom-Studium Haushalts- und Ernährungswissenschaften, Technische Universität München-Weihenstephan (TUM) (1984 – 1991)

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Teamleitung, Auswertungs- und Informationsdienst für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AID) e.V. und Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, 'Mobile Beratung und Information über Ernährung im Bundesland Sachsen' (1991 – 1992)

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Leitung Ernährungsberatung, AOK Bayern, Landkreise Bad Tölz-Wolfratshausen und Miesbach-Tegernsee (1992 – 1997)

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Doktorandin, Agrarsoziologie, Technische Universität München-Weihenstephan (1997 – 2001) und Gastaufenthalt im Rahmen der Promotion, Nutrition Department, North West University, South Africa

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Freie Beraterin: InWent-Capacity Building International, Feldafing; aid Infoservice e.V. Bonn; AOK Bayern, Bad Tölz; und Bayrische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL), ‘Marktanalyse Urlaub auf dem Bauernhof’, empirische Sozialforschung, Bayern & Tirol (2001 – 2002)

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DFG-Projektleitung am Zentrum für Internationale Entwicklungs- und Umweltforschung, Justus-Liebig Universität Giessen (2003 – 2008), währenddessen auch Gastforscherin, Africa Unit for Transdisciplinary Health Research (AUTHeR), North West University, South Africa

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Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Dep. Gender und Ernährung, Institut für Sozialwissenschaften des Agrarbereichs, Universität Hohenheim (2008 – 2010)

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Habilitation, Fachgebiet 'Gender und Ernährung', Institut für Sozialwissenschaften des Agrarbereichs, Fakultät Agrarwissenschaften, Universität Hohenheim (2010 – 2015)

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Margarete-von-Wrangell Habilitationsprogramm, Ministerium für Wissenschaft, Forschung & Kunst, Baden-Württemberg & Europäischer Sozial Fond (2010 – 2012)

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Vertretungsprofessur Dep. Gender und Ernährung, Institut für Sozialwissenschaften des Agrarbereichs, Universität Hohenheim (2013 – 2015)

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Privatdozentin, Dep. Soziale Transformation und Landwirtschaft, Universität Hohenheim (2015 – 2021)

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Senior Research Fellow, Centre for Agroecology, Water and Resilience, Coventry University, UK (2015 – 2018)

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Associate Professor, Centre for Agroecology, Water and Resilience, Coventry University, UK (2019 – 2021)

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Professorin, Leiterin des Instituts für Entwicklungsforschung, Dep. Nachhaltige Agrarsysteme, Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien (seit 2021)

Quelle

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Interview mit Stefanie Lemke am 08.08.2023

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