Portrait Lucia A. Reisch

Interview mit Professorin Lucia A. Reisch

Von Diane Fossey zur Konsum-Forschung

Lucia A. Reisch ist Wirtschaftswissenschaftlerin und beschäftigt sich unter anderem damit, wie unser Konsumverhalten nachhaltiger werden kann. Sie studierte an der Universität Hohenheim und wechselte nach ihrer Doktorarbeit erst nach Dänemark und dann nach Großbritannien – an die renommierte University of Cambridge.

Seitdem leitet sie das El-Erian Institut für Verhaltensökonomik mit Schwerpunkt nachhaltige Entwicklung. Wie ihr das Wrangell-Fellowship den Weg zur Professur ebnete, berichtet sie im Interview.

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„Ich habe schon als 10-jähriges Mädchen gesagt: Ich will mal Professorin werden!“

Lucia A. Reisch

Wann haben Sie Ihre Leidenschaft für die Wissenschaft entdeckt?

Als ich zehn Jahre alt war, war für mich schon klar, dass ich mal in die Wissenschaft gehe. In der Grundschule haben wir über Berufswünsche gesprochen, und da habe ich mich hingestellt und gesagt „Ich will mal Professor werden!“ – damals sagte man nicht Professorin. So bin ich sozialisiert worden. Ich komme aus einem Wissenschaftler:innen-Haushalt, meine beiden Eltern waren in der Forschung tätig, und ich habe immer mitbekommen, wie schön es ist, eigenen Projekten nachgehen zu können, selbst Inhalte und Zeit zu bestimmen – ohne Chef: in. Oder wie spannend es ist, international zu arbeiten. Deshalb war ich schon immer darauf aus, selbstständig zu sein und finanziell von niemandem abhängig zu sein. Da haben meine Eltern eine sehr große Rolle gespielt.

Was allerdings nicht klar war, in welchem Fachgebiet ich Professorin werden wollte. Tatsächlich hat mich als Kind die Primatologie begeistert. Meine großen Heldinnen waren Diane Fossey und Biruté Galdikas, die sich mit Primaten im Feld beschäftigt haben. Schon während meiner Schulzeit habe ich mich dann sehr für Geschichte und Politik interessiert und war auch politisch aktiv. Und nach dem Abitur hat dann der Realitätssinn eingeschlagen und ich habe gedacht, mach erst mal was, was schnell geht, einfach ist und wo du sicher einen Job hast. So habe ich Wirtschaftswissenschaften studiert.

Meine wahre Leidenschaft für die Ökonomie habe ich aber erst in den USA entdeckt. Dorthin bin ich nach dem Studium mit einem DAAD-Stipendium gegangen und habe zum ersten Mal Blut geleckt und mich mit der Konsumforschung beschäftigt. Als ich nach Hohenheim zurückkam, hatte ich das Glück an einem Lehrstuhl als Hilfswissenschaftlerin zu arbeiten, der sich schon damals mit ethischem Konsum, Nachhaltigkeit und Umweltthemen beschäftigt hat.

Was mich fasziniert hat war, wie entscheiden sich Menschen? Was bestimmt ihr Verhalten beim Konsum? Da gab es durchaus Parallelen zur Primatenforschung, wie ich in Gesprächen mit einer befreundeten Primatologin gemerkt habe. Was haben wir gelacht, wenn ich über so manches Board-Meeting oder über Fakultätsratssitzungen berichtet habe. So bin ich zwar von Haus aus Ökonomin, aber eben auch Sozialwissenschaftlerin. Themen wie die Evolutionary Economics, die sich mit female choice beschäftigen, oder die Sozioökonomie und die Verhaltensökonomie, faszinieren mich. So habe ich dann letztlich meine Nische gefunden und in der Verhaltensökonomie promoviert.

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„Mit diesem Thema bekommen Sie in Deutschland aber keinen Job. Das heiß es nach meiner Promotion – heute bin ich an einer Elite-Universität.“

Lucia A. Reisch

Prof. Lucia A. Reisch bei einem Vortrag

Was war die größte Herausforderung auf Ihrem Karriereweg?

Ein sehr kritischer Punkt war für mich, dass der Lehrstuhl, an dem ich promoviert hatte, eingestellt wurde. Nicht wegen der Thematik, sondern weil einfach nicht genug Geld da war. Im Grunde kennt jede:r Wissenschaftler:in die Unsicherheit, nicht zu wissen, ob es nach der Promotion weitergeht. Das ist von Anfang an klar und keine besondere Herausforderung, mit der nur ich zu kämpfen hatte.

Aber es war eine Herausforderung, weil es in Deutschland zu dieser Zeit keine Universität gab, die an meinen Themen geforscht hat. Es war also folgerichtig, dass ich ins Ausland gehen musste. Natürlich war das ein großer Sprung damals, etwas Neues zu wagen. Aber als Wissenschaftler:in muss man beweglich sein, sich aufmachen, mobil sein.

Zum Glück hat mein Doktorvater, der im Übrigen ein früher Feminist war, immer schon sehr stark international gearbeitet. Er hat mir dann den Weg nach Skandinavien geebnet, und ich habe die Chance ergriffen. Manchmal denke ich auch, dass ich viel Glück hatte, zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen zu sein.

Hatten Sie eine Mentorin oder ein Vorbild?

Ja, ich hatte mit Professor Gerhard Scherhorn einen großartigen Mentor. Er war damals Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung, also einer der Fünf Weisen, und ein sehr angesehener Ökonom. Aus Sicht der Fakultät hat er sich damals mit abstrusen Themen beschäftigt: Kaufsucht, Umweltthemen, ethische Geldanlagen. Das war in den 90er Jahren und er war damit seiner Zeit weit voraus. Mich hat das sehr fasziniert.
Für mich war er immer ein Mensch mit vielen Interessen, mit dem man sich intellektuell auf verschiedensten Gebieten austauschen konnte. Das hat einen riesigen Spaß gemacht. Sein Lab war damals schon interdisziplinär besetzt mit Politikwissenschaftler:innen, Ökonom:innen und Psycholog:innen. Auch das war damals nicht selbstverständlich, sondern eher ein bisschen anrüchig, zu wenig empirisch. Heute dagegen ist es sehr gefragt. Wenn ich sehe, wie Universitäten in Großbritannien bewertet werden, sind es genau diese Kriterien, die eine gute Bewertung ausmachen.
Professor Scherhorn hatte damals an der Universität Hohenheim deutschlandweit den einzigen Lehrstuhl für Konsumtheorie und Verbraucherpolitik. Er hat die Märkte aus Konsumentenperspektive angeschaut und versucht zu verstehen, warum Menschen etwas kaufen, warum sie zu viel kaufen, warum sie sich für bestimmte Produkte entscheiden.

Er war es, der mich mit dem Thema nachhaltiger Konsum in Verbindung gebracht hat, das ich bis heute bearbeite. Wie bekommt man Menschen dazu, dass sie sich bei den großen Themen wie Mobilität, Finanzen oder Ernährung klima- oder biodiversitätsfreundlich entscheiden? Welche Rolle spielt die Gruppe dabei? Welche Vorurteile kommen dabei zum Tragen? Er war ein Vorreiter für diese Themen und vieles wurde später noch einmal neu entdeckt.

Die wichtigste Unterstützung für mich war, dass mir Professor Scherhorn viel Freiraum für meine eigene Arbeit gelassen hat. Ich weiß noch, wie er sagte: „Das sind Ihre Aufgaben und das ist Ihre Zeit. Wenn Sie Fragen haben, können Sie jederzeit zu mir kommen, meine Tür steht immer offen.“ Im Grunde hat er mich machen lassen, und ich musste keine Massen von Studierenden betreuen, auf die er keine Lust hatte. Sondern ich konnte mich in einer Arbeitsgruppe entwickeln und habe Feedback bekommen.

Das hat mir natürlich auch das Wrangell-Fellowship ermöglicht. Ohne diese Freiheit hätte ich nicht in der Geschwindigkeit und auf dem Niveau publizieren können. Eben nicht nur die intellektuelle Freiheit, sondern auch die akademische Freiheit. Ich habe zwar auch unterrichtet und das war wichtig für den Aufbau meiner Lehrerfahrung, aber eben keine Massen von Stunden. Was bin ich froh, dass mir die damalige Frauenbeauftragte von dem Fellowship erzählt hat. Im Rückblick würde ich sagen, das war ein ungeheuer wichtiger Baustein für meine wissenschaftliche Karriere.

Professorin Lucia A. Reisch

Prof. Lucia A. Reisch an der Cambridge Judge Business School, 2022

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„Das Wrangell-Fellowship war für mich ein großer Game Changer. Ohne dieses Fellowship weiß ich nicht, wo ich heute wäre.“

Lucia A. Reisch

Wann war für Sie klar, dass Sie Professorin werden wollten?

Nun, das war schon von Kind auf mein Wunsch, aber ich wäre auch einen anderen Weg gegangen. Ich hatte nie die Vorstellung davon, dass mein Karriereweg ganz geradlinig verläuft. So etwas gibt es auch nicht. Sondern mir war immer bewusst, dass ich einen langen Atem brauche und flexibel sein muss. Vielleicht auch mal irgendwo arbeiten, wo ich eigentlich nicht hinmöchte. Ich wusste, dass es ein schwieriger Weg mit vielen Kompromissen und viel Durchhaltevermögen werden würde.

Der entscheidende Punkt war damals für mich tatsächlich das Wrangell-Fellowship. Das war ein großer Game Changer. Ohne dieses Unterstützung weiß ich nicht, wo ich heute wäre. Vor 30 Jahren waren Themen wie Nachhaltigkeit oder Verhaltensökonomie eben nicht der Mainstream, sondern eher der Rand der Ökonomik. Damals wurde ich nicht wirklich ernst genommen. Insofern hat es mir sehr viel Motivation gegeben, für ein solches Fellowship ausgewählt zu werden.

Die Unabhängigkeit und die Sichtbarkeit, die es mir verschafft hat, vor allem auch der Respekt, das war wirklich enorm. Es war die Grundlage für die weiteren Stationen, vom „Assistant Professor“ über „Associate Professor“ in Dänemark und schließlich die letzte Station zur Professorin in Cambridge.

Wie bewerten Sie das Wrangell-Fellowship im Rückblick?

Ich stehe voll dahinter und fand es sehr gut. Besonders gut war, dass es mit einem Mentoring-Programm kombiniert war. Einem Angebot an Gruppen-Coachings unter Gleichgesinnten. Dort ging es um Themen wie „EU Proposals schreiben“ oder „Auftritt auf einer internationalen Tagung“. Wir konnten über Themen sprechen, die man sonst einfach öffentlich nicht ansprechen konnte, etwa „Was ziehe ich an?“ oder „Wie kann ich auf einer Konferenz mein Kind stillen?“

Ich glaube, ich war irgendwann als diejenige verschrien, die zu allen Konferenzen mit Baby auftauchte. Aber das war mir wichtig, ich wollte das und mein Mann hat mich unterstützt und mir in den Pausen unseren Sohn gebracht. Aber ich hatte nie Vorbilder in dieser Hinsicht.

An meiner Fakultät gab es keine einzige Frau als Professorin. Insofern war es umso wichtiger zu sehen, dass die anderen Fellows aus anderen Fakultäten ganz ähnliche Alltagsthemen hatten wie ich. Dieser Austausch hat mir sehr gut gefallen, weil ich sah, dass die Herausforderungen oft dieselben waren. Zu sehen, wie andere das lösen, sich etwas abzuschauen, hat mir enorm geholfen. Das gesamte Mentoring habe ich als ungeheuer wertvoll wahrgenommen, und das habe ich vorher in dieser Art nicht gekannt.

Vor dem Fellowship hatte ich überlegt, die Fachrichtung zu wechseln und etwas zu machen, das mehr dem Mainstream entspricht. Aber dann wäre die Leidenschaft nicht dagewesen. Eine andere Option wäre es auch gewesen, in die USA zu gehen. Aber eine weitere Qualifikation in Deutschland wäre ohne das Wrangell-Fellowship nicht möglich gewesen. In Dänemark kannte das Wrangell-Fellowship natürlich niemand. Trotzdem war es eine Auszeichnung, ausgewählt zu werden, denn es war ja schon Leistung nötig, um das Fellowship zu bekommen und zu den Auserwählten zu gehören.

Für mich war dieses Programm, die finanzielle Sicherheit, der Freiraum und die Anerkennung meines Nischenthemas ein richtig tolles Gesamtpaket. Allein zu wissen, dass mein Thema interessant genug war, ernst genommen zu werden, das tat richtig gut. Wer immer sich das ausgedacht hat, demjenigen bin ich bis heute dankbar. Ich habe es auch voller Stolz in meinem Lebenslauf stehen, auch wenn es im Ausland niemand kennt.

Und ich habe großen Respekt vor Dagmar Höppel, die damals im Gleichstellungsbüro der Universität Hohenheim war und sehr viel dazu beitrug, dass dieses Programm ein Erfolg geworden ist. Und wenn damals immer mal wieder die Frage aufkam, ob wir überhaupt eine Frauenbeauftragte brauchen, kann ich nur von ganzem Herzen sagen: „Ja, auf jeden Fall!“

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„Früher wollte ich nie eine Quotenfrau sein. Aber nur dadurch hat sich viel verändert, vor allem in den Berufungsgremien.“

Lucia A. Reisch

Brauchen Frauen überhaupt noch spezielle Förderprogramme oder Unterstützung?

Ich bin ja eine empirische Forscherin. Deshalb würde ich immer sagen, wie sehen denn die Zahlen aus? Was hat sich tatsächlich geändert? Und warum? Bei Studiengängen, wo viel im Labor gearbeitet werden muss, haben die meisten Frauen keine Kinder. In anderen Bereichen hat sich etwas verändert. Das heißt, bevor Argumente kommen, sollten wir uns die Zahlen ansehen.

Als meine Mutter 1949 in Hohenheim begonnen hat, Agrarwissenschaften zu studieren, waren in ihrem Semester zwei Studentinnen und etwa 500 Studenten. Ihr Zulassungsbescheid war noch an ihren Vater adressiert. Sie durfte nur studieren unter der Voraussetzung, dass sie ihren Studienplatz abgibt, sobald ein Mann ihn beansprucht. Das ist noch gar nicht so lange her – nur eine Generation.

Ehrlich gesagt mochte ich früher die Quoten überhaupt nicht. Ich dachte immer „Wie furchtbar, am Ende werde ich eine Quotenfrau!“ Das wollte ich nie sein. Aber es hat sich eben vieles verändert dadurch. Allein in den Gremien. Früher wurden einfach diejenigen genommen, die man ohnehin kannte, weil man gemeinsam studiert hat. Heute geht das nicht mehr, sondern wir sind gezwungen, uns umzuschauen und eben auch gezielt nach Wissenschaftlerinnen Ausschau zu halten. Das macht einen großen Unterschied.

Natürlich ist es ein bisschen mehr Mühe, aber nicht viel. Denn dafür gibt es Plattformen wie das AcademiaNet, eine Datenbank für exzellente Wissenschaftlerinnen, die damals von der Robert Bosch Stiftung aufgebaut wurde. Vielleicht ist das manchmal ein etwa höheres Risiko, wenn man eine Person nicht kennt, aber insgesamt war es genau der richtige Weg. Nur so konnten die Gremien vielfältiger werden, und wir sind aus dem homogenen Umfeld der Berufungen aus dem Freundeskreis herausgekommen.

Mittlerweile arbeiten eigentlich alle Berufungskommissionen, in denen ich in Dänemark, Schweden oder England war, „Gender Blinded“. Es werden auch Kindererziehungszeiten oder eben auch Homeschooling, aufgrund von COVID, berücksichtigt. Natürlich für Männer und für Frauen. Wobei ich schon beobachtet habe, dass die meisten Männer die COVID-Zeit wie selbstverständlich angeben, viele Frauen aber nicht. Da saß ich manchmal schon schmunzelnd vor Bewerbungen und dachte „So so“.

Eines ist klar: Publikationen sind unsere Währung. Egal wie schlau, wie erfahren, wie methodisch gut man ist, es ist eine gewisse Zeit nötig, um eine Publikation zu schreiben. Und wenn jemand eine Publikation in Science hat, dann ist das eine Publikation in Science. Die Karriere hängt nicht wie in manchen Unternehmen davon ab, ob jemand abends noch mit dem Chef ein Bier trinken geht. In der Wissenschaft kann jede und jeder durch pure Leistung punkten. Aber wer Kinder hat, hat einfach weniger Zeit dafür und kommt langsamer voran.

Ich habe in meinem Leben noch keine Frau erlebt, die nach vorne gekommen ist, ohne fachlich gut zu sein. Das geht in der Wissenschaft nicht! Dazu sind die Ansprüche einfach zu hoch und die Publikationen zu transparent. Wir messen das mit dem Impact-Factor, auch wenn der statistisch angreifbar ist. Aber wenn eine Frau den Impact Factor 39 hat, kann ich sagen: „Jungs, was habt ihr?“ Auch bei der Vergabe von Drittmitteln gibt es feste Bewertungs-Schemata. Es zählt die Lehrerfahrung, die Zahl der Publikationen und der Zeitfaktor.

Deshalb ist für mich klar: Wenn wir uns fragen, ob wir noch weitere Förderprogramm brauchen, müssen wir uns nur die Zahlen anschauen. Wie viele Professorinnen gibt es denn in Deutschland? Und ich rede nicht von Assistenzprofessuren, Gastprofessuren oder Juniorprofessuren, sondern von ordentlichen Professuren mit Lehrstuhl. Und dann ist die Antwort eindeutig: Da haben wir noch einiges aufzuholen.

Akademische Karriere und Familie

Natürlich war es eine anstrengende Zeit, als die Kinder noch klein waren. Meinen älteren Sohn habe ich 1994 nach meiner Promotion bekommen und dann ein halbes Jahr Pause gemacht. Dann hörte ich vom Wrangell-Fellowship und habe mich beworben. Das war wirklich ein toller Zeitpunkt, weil ich mit einem kleinen Kind wohl kaum Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, mich auf eine volle Stelle zu bewerben. So kam mein zweiter Sohn gegen Ende des Wrangell-Fellowships auf die Welt. Das Fellowship war schon ein Gamechanger, weil es mir über fünf Jahre Sicherheit gegeben hat.

Was mir auch sehr geholfen hat, war das Kinderbetreuungsprogramm der Universität Hohenheim „Die kleinen Hohenheimer“. Das wurde damals neu ins Leben gerufen und war eine Kindertagesstätte für Bedienstete und Postdocs. Das war eine wirklich tolle Sache. Sie war 500 Meter von meinem Büro entfernt, und ich konnte dort stillen und die Betreuung war vertrauenswürdig, qualitativ hochwertig und es war vor Ort.

Trotz allem hieß das, dass ich bis tief in die Nacht und am Wochenende Paper schreiben musste. Es gab eine Zeit, da war ich ständig müde. Aber das kennen ja viele. Es sind vor allem die Jahre, in denen die Kinder klein sind, die sehr anstrengend sind. Mit Corona hat sich durch das Homeoffice natürlich einiges verbessert – solche Möglichkeiten gab es damals nicht.

Haben Sie jemals Sprüche gehört oder sich benachteiligt gefühlt, weil Sie eine Frau sind?

Als ich 2006 in der Fakultät in Hohenheim mein Habilitationsthema vorgestellt habe, sagte der Vorsitzende zu mir „Junge Frau, mit diesem Thema bekommen Sie aber keinen Job in Deutschland!“ Das war wahrscheinlich nicht einmal böse gemeint, aber es waren solche Momente, in denen ich lernen musste, mich nicht einschüchtern zu lassen. Ich habe mir ein dickes Fell zugelegt. Seitdem hat sich viel getan, und wir sind heute einen großen Schritt weiter. Es hat sich einiges verbessert. Aber vor 30 Jahren herrschte noch ein anderer Ton an der Universität.

Traditionell ist die Ökonomik eher männlich geprägt, und ich war lange Zeit bei vielen Tagungen ziemlich allein auf weiter Flur. Entsprechend wurde ich auch nicht immer ernst genommen. Es gibt sogar Forschungsberichte dazu, dass es Frauen in der orthodoxen Ökonomik schwerer haben, akzeptiert zu werden. Insgesamt hatte ich, vor allem mit den Kindern, oft das Gefühl immer Gegenwind zu haben. Das muss nicht nur schlecht sein.

Aber in Dänemark war es dann genau andersherum. Dort hatte ich immer Rückenwind. Es ist viel selbstverständlicher, dass beide Eltern berufstätig sind und sich gemeinsam um die Kinder kümmern. Insofern fanden keine Meetings nach 16 Uhr statt, und es war völlig normal, dass man Kinder abholen musste. Es war ein anderes Gesellschaftsmodell.

Das liegt wohl auch daran, dass Dänemark ein kleines Land ist und schon früher als wir alle Arbeitskräfte gebraucht hat. Wenn man etwas genauer hinschaut, dann waren an der Kopenhagen Business School, an der ich fast 20 Jahre war, trotz allem relativ wenige Frauen an der Spitze tätig. Ich glaube nur 10 Prozent Professorinnen – das ist nicht viel.

Was ich gelernt habe ist, dass Karrierewege von Frauen oft langsamer, häufig gewundener, oft nicht so geradlinig verlaufen. Am Ende läuft eben doch viel auf die Unterstützung raus, die man bekommt. Ich habe damals nach dem zweiten Kind nach sechs Wochen wieder voll weitergearbeitet, weil es nicht anders ging. In Skandinavien gehen viele erstmal ein Jahr in Elternzeit und teilen sich das mit dem Partner auf, weil sonst das Geld nicht voll ausbezahlt wird. Es herrschen andere soziale Normen und Gesetze, und so gibt es auch mehr Möglichkeiten und ein anderes Verständnis für Karrierewege. Auch die Bewertungen sind anders – und daran hängt ja ein ganzer Rattenschwanz.

Insofern trifft es die Windmetapher ganz gut – in manchen Ländern hatte ich Gegenwind, in anderen Rückenwind.

Wann ist eine Unterstützung auf dem Karriereweg sinnvoll?

Nach wie vor können nur Frauen Kinder bekommen, und das wird auch so bleiben. Das heißt auf der anderen Seite aber auch, dass der Dreh- und Angelpunkt die Jahre sind, in denen Frauen Kinder kriegen. In diesen Jahren fehlt einfach Zeit für die Berufskarriere und die Frage ist, wie wir das kompensieren, damit es eben keine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts gibt, wenn das Rennen um die Berufung losgeht. Solche Kindererziehungszeiten muss man ausgleichen. In den kritischen fünf Jahren halte ich eine Unterstützung nach wie vor für nötig.

Für eine Professur spielen natürlich nochmal andere Faktoren eine Rolle, auch das Umfeld. Da gibt es ebenso Männer, die warten fünf Jahre, weil es bei kleineren Fächern keinen Lehrstuhl gibt. Aber wenn wir ein familienfreundliches Land sein wollen und exzellente Wissenschaftler:innen halten wollen, müssen wir dafür sorgen, dass sie in den kritischen Jahren weiter in der Wissenschaft bleiben können. Oder eben auch Career Packages anbieten und Stellen für die Partner:innen suchen. Es sollte auch nicht als anrüchig gelten, wenn beide Partner in der Wissenschaft tätig sind.

Was mir ein wenig Sorge bereitet, ist, wenn ich von meinen beiden Söhne Sätze wie diese höre: „Wir Männer werden benachteiligt, es werden immer nur die Frauen genommen.“ Da frage ich zwar immer nach“ Kann es sein, dass sie besser waren?“, aber wir müssen aufpassen, dass es nicht zu einem Rückschlag kommt, denn das ist gefährlich. Es ist auch nicht gut, wenn sich junge Männer strukturell benachteiligt fühlen.

Insgesamt hat sich schon viel getan und junge Kolleginnen haben heute sehr viele Chancen. Für mich war das Wrangell-Fellowship eine tolle Sache, weil es mir unglaubliche Flexibilität und gleichzeitig Sicherheit gegeben hat. Genau solche Programme brauchen wir nach wie vor, und andere Länder haben sie ja ebenfalls. Damit müssen wir uns messen, wenn wir international mithalten wollen.

Ganz wichtig sind natürlich auch Role Models, damit junge Wissenschaftlerinnen sehen „Das kann ich schaffen“ und „Die Frau hat auch zwei Kinder und kann in Gremien reüssieren, und manchmal hat sie auch einen schlechten Tag, aber das gehört dazu.“

Wissenschaftliche Karriere im Ausland

Es gibt sehr unterschiedliche Bildungs-Systeme in Europa. Skandinavien hat ein System, in dem wirklich alle studieren können und jeder einen Studienplatz bekommt. Die Studierenden bekommen sogar Geld, ungefähr 1.000 € im Monat, für das Erststudium und müssen das auch nicht zurückbezahlten. Auf der anderen Seite gibt es dadurch auch wenig Ansporn und kaum Elite. Also nur wenige Fächer, in denen skandinavische Länder in der Forschung ganz vorne mit dabei sind. Es gibt dort eine sehr gute Breitenbildung, aber wenig Top-Forschung.

In England ist das Wissenschaftssystem sehr elitär, so wie in den USA. Es hat viel damit zu tun, wo man hineingeboren wird. Klar gibt es auch Aufstiegsmöglichkeiten, aber es ist für Kinder aus Nicht-Akademiker-Familien sehr schwer. Natürlich gibt es Stipendien, aber die zu bekommen ist hart. Die Elite hat sich abgeschirmt.

Wenn ich alles von außen betrachte, finde ich, dass wir in Deutschland vieles richtig machen. Allein die Tatsache, dass wir zahlreiche gute öffentliche Universitäten haben, ist fantastisch. Es gibt kaum deutsche Unis, die wirklich schwach sind. Überall gibt es eine gute Ausbildung „for free“. Es gibt auch das Bafög und eben deutlich mehr Arbeiterkinder an Hochschulen als in England. Auch viele Migrant:innen – das ist doch ein toller Erfolg!

Und wir haben ein sehr vielfältiges System mit Universitäten, Dualen Hochschulen, Fachhochschulen, Pädagogischen Hochschulen und hochwertiger Berufsausbildung. Diese Vielfalt ist einmalig. Und mittlerweile gibt es auch Exzellenz-Programme, um Spitzenforschung zu fördern. Wir haben genau die richtige Mischung, finde ich.

Haben Sie noch einen Tipp an junge Wissenschaftlerinnen?

Der wichtigste Tipp, den ich meinen Mentees mitgebe ist, sich auch außerhalb der Wissenschaft einzubringen. Also sich nicht nur auf Publikationen zu konzentrieren, sondern auch in Gremium oder Beratungsrunden mitzuwirken. Ich glaube, wir Frauen sind es einfach gewohnt, irrsinnig effizient zu sein und quasi die letzte Minute zwischen Kinderabholen, Wäschewaschen und publizieren produktiv zu verbringen. Und dann soll ich noch bei so einem Laber-Club dabei sein? Dafür habe ich keine Zeit, denken viele. Aber das ist ein großer Fehler. Viele ahnen ja gar nicht, wie wertvoll das ist. Dort lernt man so unglaublich viel über Gesprächsführung oder darüber, wie man Koalitionen schmieden kann.

Viele Frauen begeben sich dort aber nicht gerne hinein. Das ist ein bisschen wie Gehaltsverhandlungen, die machen viele Frauen auch nicht so gern. Aber genau das sollten wir tun. Natürlich ausgewählt, aber sich eben außerhalb vom Kern der eigentlichen akademischen Arbeit engagieren, weil das einen sehr viel weiterbringt und ganz andere Fähigkeiten trainiert und uns auf andere Art sozialisiert und nuanciert. Ich selbst habe einige meiner engsten Kolleginnen im wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für Ernährung und Verbraucher und im Nachhaltigkeitsrat kennengelernt.

Als ich von Renate Künast, der ersten Grünen Verbraucherministerin, in den wissenschaftlichen Beirat in der Bundesregierung berufen wurde, da habe ich sofort ja gesagt. Ich weiß noch, wie verzweifelt sie war, weil sie anfangs keine Frau aus Süddeutschland gefunden hatte, die sich mit Verbraucherfragen auskannte. Für mich war das als Doktorandin ein riesiges Sprungbrett, weil ich plötzlich mitten in der Bundespolitik stand, ganz andere Menschen kennengelernt habe und es ganz neue Plattforme gab, auf denen ich auf einmal mitspielen konnte.

Außerdem arbeite ich seit 35 Jahren für ein wissenschaftliches Magazin als Editorin. Dort habe ich als wissenschaftliche Hilfskraft angefangen, als ich gerade aus den USA zurückkam, weil ich gut englisch gesprochen habe und sie jemanden suchten. Bis heute bin ich dort Editorin und habe dadurch ein ganz anderes Netzwerk. Alles nur Männer, tolle Männer, die nun mittlerweile bekannte Professoren an großen Universitäten sind.

Deshalb rate ich jeder Wissenschaftlerin: Schau, wo du dich einbringen kannst. Trau es dir zu. Und selbst wenn dann eine Publikation wegfällt, weil du dafür die Zeit nicht hast, kann es unter Umständen mehr bringen. Allein die Motivation, die ich von Kolleg:innen bekommen habe, von Personen der nicht von der eigenen Hochschule sind und mal über etwas drüber schauen und neue Inspiration oder Gedanken einbringen. Das ist Gold wert! Oder Tipps, die man über solche Netzwerke bekommt, auch von ganz anderen Fachrichtungen, werden total unterschätzt. Es muss ja nicht gerade in einer Phase sein, in der kleine Kinder zuhause sind. Aber es gibt eine Zeit davor und danach. Ich habe während die Kinder klein waren, meine Editorinnnentätigkeit auf 10 Prozent reduziert, aber dann konnte ich wieder voll einsteigen.

Das macht auch Spaß, und ich habe viel gelernt. Wie werden politische Entscheidungen in der Ministerialadministration getroffen? Wie ticken die? Welche Incentives gibt es? Wer sind die wahren Entscheider? Wie sehen die Machtkonstellationen aus? Das ist wichtiges Hintergrundwissen, um so manches einzuordnen und am Ende gewinnt man auch an Glaubwürdigkeit.

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„Wir Frauen sind es einfach gewohnt, irrsinnig effizient zu sein und quasi noch die letzte Minute zwischen Kinder abholen, Wäschewaschen und publizieren produktiv zu verbringen. Deshalb unterschätzen wir häufig, wie wertvoll Engagement außerhalb der Wissenschaft ist.“

Lucia A. Reisch

Haben es junge Akademiker:innen heute leichter?

Es hat sich einiges verändert – aber eben auch die Umstände. Meine Generation, Jahrgang 64, ist in den goldenen Jahren aufgewachsen und sozialisiert worden. Unsere größte Sorge war, ob jemand den falschen Musikgeschmack hatte. Es war eine Zeit des Aufbruchs. Nun hatten wir die Pandemie, der Ukraine-Krieg geht weiter und der Klimawandel ist eine unserer größten Herausforderungen. Es wundert mich nicht, dass in einer solchen Zeit der Unsicherheit das Sicherheitsdenken zugenommen hat.

Denn was ich erlebe ist, dass junge Wissenschaftler:innen nicht mehr so flexibel sind. Weniger bereit, ins Ausland zu gehen oder davon ausgehen, immer an derselben Universität bleiben zu können. Dabei müssen wir in die Welt hinaus, gerade in einer Zeit, in der alles internationaler geworden ist. Auf der anderen Seite fragen wir uns heute, wie reise ich zu einer Konferenz? Sollte ich das überhaupt tun wegen den Emissionen? Da lebt die junge Generation unter ganz anderen Bedingungen.

Damals war es für uns selbstverständlich, auch mal nur eine halbe Stelle oder eine Drittel Stelle zu haben. Auch darauf war ich stolz. Im Prinzip haben wir die Unwägbarkeiten mitgedacht, und es ging ja allen so. Mein Jahrgang war sehr geburtenstark. Überall wo ich hinkam, waren schon 100 andere Menschen da. Heute sieht das anders aus. Klar, es gibt nach wie vor die Phasen, wenn jemand Kinder hat, in denen es schwierig ist. Das gilt aber für alle berufstätigen Frauen. Das ist nicht spezifisch für den wissenschaftlichen Karriereweg.

Die Chancen sind heute besser und es gibt mehr Fördermöglichkeiten. Gerade Wissenschaftlerinnen sind sehr gesucht, und es gibt entsprechende Programme. Es ist auch viel normaler heutzutage, mal eine Weile woanders hinzuwechseln – in die Politik, in einen Thinktank oder ein Startup und sich dort auszuprobieren. Es gibt wirklich viele Möglichkeiten heute.

Aber die Bereitschaft, ins Ausland zu gehen oder eine nicht optimale Stelle anzunehmen, scheint gesunken zu sein. Es wird nach Sicherheit und Stetigkeit gesucht, aber so funktioniert Wissenschaft eben nicht.

Als ich das Angebot aus Cambridge bekam, musste ich überlegen, ob ich wirklich mein erfolgreiches Labor in Kopenhagen aufgeben sollte, um mit Ende 50 nochmal ganz von vorne anzufangen. An einer neuen Universität, ohne Kontakte. Da braucht es schon ein bisschen unternehmerisches Denken und Risikobereitschaft. Ich habe es getan, denn ich wollte einfach nochmal etwas Neues machen. Die Kinder waren aus dem Haus, und ich war bereit, eine neue Herausforderung anzugehen. Deshalb kann ich jungen Wissenschaftler:innen nur raten: Nutzt die Chancen, die ihr habt! Traut euch, ein Risiko einzugehen, und ihr werdet belohnt.

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„Insgesamt betrachte ich es als einen großen Luxus, dass ich Professorin sein darf. Es gibt doch nichts Schöneres, als von morgens bis abends am eigenen Herzensthema zu forschen.“

Lucia A. Reisch

Wie blicken Sie auf das zurück, was Sie erreicht haben?

Was ich erreicht habe, ist fantastisch, und ich bin absolut zufrieden. Obwohl ich immer Professorin werden wollte, wusste ich ja nicht, ob es wirklich klappt. Am Ende hätte es nicht besser laufen können. Ich bin nun an einer tollen Universität mit hervorragenden Kolleg:innen und unglaublichen Möglichkeiten. In den vergangenen Jahren habe ich mein Labor aufgebaut mit jungen Menschen, darunter vielen Frauen, international und interdisziplinär. Die Möglichkeiten an einer Elite-Universität sind nicht selbstverständlich, das weiß ich sehr zu schätzen.

Lucia A. Reisch beim Vortag

Prof. Lucia A. Reisch beim Vortrag beim BDI in Berlin

Insgesamt betrachte ich es als einen großen Luxus, dass ich meinen Beruf überhaupt machen darf. Es gibt doch nichts schöneres, als von morgens bis abends am eigenen Herzensthema zu forschen, darüber zu sprechen und sich mit anderen Menschen auszutauschen. Deshalb kann ich nur sagen, es hat sich absolut gelohnt! Natürlich gibt es nichts „for free“, sondern ich musste in diesen Weg investieren und ihn mir erarbeiten.

Doch diese Unabhängigkeit, die Freiheit, wo habe ich die sonst? Das beginnt ja nicht erst als Professorin, sondern bereits in der Postdoc-Phase. Für mich war immer entscheidend, dass ich mir meine Zeit selbst einteilen kann. Dafür habe ich bei anderen Themen wie Sicherheit oder dem Gehalt Abstriche gemacht.

Professorin sein ist ein toller Beruf, gerade für Frauen, und ich habe es nie bereut.
Ich habe immer gesagt: Wir brauchen mehr weibliche Vorbilder. Erst vor kurzem ist mir klar geworden, dass ich nun selbst zum Role Model geworden bin.

Aktuelle Forschung

In meiner Forschung geht es im Grunde immer um das Thema: Wie verhalten sich Menschen? Was können wir tun, um ihr Verhalten zu verändern? Zum Beispiel, um nachhaltigen Konsum zu fördern. Also welche Stimuli brauchen wir dafür, welche kleinen Interventionen in die richtige Richtung? Ich schaue mir beispielsweise das Ernährungsverhalten an oder das Mobilitätsverhalten. Wie können wir das für mehr Klimaschutz verändern? Welche Infrastruktur brauchen wir dafür? Bis vor wenigen Jahren musste ich immer noch argumentieren, warum wir unser Konsumverhalten nachhaltiger gestalten sollen. Das muss ich nun nicht mehr.

Nach 30 Jahren Konsumforschung weiß ich, dass Menschen nur etwas verändern, wenn es ihnen gutgeht. Klar, manchmal bringen wir auch Opfer, aber nicht auf Dauer. Es muss unserem Umfeld gutgehen, der Familie. Über den Preis funktioniert vieles, über Gesetze auch einiges, aber nur im Zusammenhang mit Preis. Klar, man kann etwas verbieten, muss auch neue Standards setzen, aber in Verboten liegt auch eine große Gefahr – das zeigt die Diskussion um das Heizungsgesetz der Ampel-Parteien. Damit sind Populistische Parteien im Aufwind, und es kann schnell einen Rückschlag geben.

Momentan arbeiten wir in einer großen Studie daran, das Essen für die Kantinen der 31 Colleges der University of Cambridge nachhaltiger zu gestalten. Wir testen was passiert, wenn vegetarische Gerichte der neue Standard sind. Dabei verbieten wir aber nichts, denn dann ist die Akzeptanz höher. Wir achten darauf, dass die Entscheidungsfreiheit erhalten bleibt. Denn wir leben in einer Welt, in der immer mehr reguliert und gesteuert wird. Umso wichtiger ist es, Freiheiten zu erhalten, wo es möglich ist. Weil wir experimentell arbeiten können, sehen wir sehr gut, was die Effekte oder unerwünschte Nebenwirkungen sind.

In anderen Projekten beschäftigte ich mich mit Energie oder Biodiversität. Meist geht es darum, wie wir für weniger Konflikte sorgen können. Wir arbeiten immer empirisch mit Experimenten und sehr viel im Feld. Das Menschenbild, mit dem wir arbeiten sagt: Wir sind nicht perfekt rational, sondern haben Vorurteile oder versuchen, mentale Abkürzungen zu gehen. Wir werden müde, wir sind abgelenkt, wir sind überfordert – und das beeinflusst unsere Entscheidungen. Und wenn das so ist, wie können wir das nutzen, um ein Verhalten zu verändern? Da braucht es viel Flexibilität, damit es funktioniert.

Steckbrief

Name: Lucia A. Reisch
Jahrgang: 1964
Forschungsgebiet: Verhaltensökonomie und -politik mit einem Schwerpunkt auf Nachhaltige Entwicklung
Universität und Institut: University of Cambridge, El-Erian Institute of Behavioural Economics and Policy, Cambridge Judge Business School
Kinder: 2 (28 & 23 Jahre)

Portrait Lucia A. Reisch

Lucia A. Reischs Werdegang

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1983 bis 1988, Universität Hohenheim, Fachbereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

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September 1985 bis April 1986, University of California, Los Angeles (UCLA), Anderson Graduate School of Management; Integriertes Internationales Master-Programm für Betriebswirtschaft (Stipendium des DAAD)

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September bis Dezember 1988, University of California, Los Angeles (UCLA) Anderson Graduate School of Management, MBA-Programm

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1994 Promotion in Wirtschaftswissenschaften (Dr. oec.) Universität Hohenheim

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Postdoktoranden-Forschungsstipendium (Baden-Württemberg) (einschließlich Elternzeit)

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1997 – 2004 Dozentin im Fachbereich Verbrauchstheorie und -politik, Institut für Haushalts- und Verbraucherökonomie, Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Universität Hohenheim.

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09/98 – 10/98 Gastprofessorin, Fachbereich Marketing, Copenhagen Business School, Kopenhagen, 03/99 - 08/99 Gastprofessorin, Fachbereich Marketing, Copenhagen Business School, Kopenhagen.

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Gastdozentin an der Technischen Universität München, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Masterstudiengang Verbraucherwissenschaft.

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02/06 – 09/06 Gastprofessorin an der Copenhagen Business School, Kopenhagen; Gastprofessur finanziert durch die Otto Mønsted Stiftung.

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ab 09/06 Professorin (MSO) an der Copenhagen Business School, Kopenhagen, Fachbereich Interkulturelle Kommunikation und Management, Zentrum für Corporate Social Responsibility, cbsCSR.

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ab 03/14 Ordentliche Professorin an der Copenhagen Business School, Kopenhagen, Fachbereich Interkulturelle Kommunikation und Management

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ab 09/21 El-Erian Professorin für Verhaltensökonomie und Politik an der University of Cambridge, Cambridge (UK).

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Direktorin des El-Erian Instituts für Verhaltensökonomie und Politik, ein Stiftungsinstitut an der Judge Business School.

Quelle

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Interview mit Lucia A. Reisch am 29.08.2023

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