Portrait Keratin Feistel

Interview mit der Wrangell-Fellow Privatdozentin Kerstin Feistel

Von Hohenheim in die USA und wieder zurück

Kerstin Feistel wollte schon immer verstehen, wie unsere Welt funktioniert – egal ob es dabei um einen Motor oder einen Organismus ging. Sie studierte Biologie an der Universität Hohenheim und spezialisierte sich schließlich auf die Entwicklungsbiologie. Seitdem erforscht sie, was während der Embryonalentwicklung auf zellulärer Ebene geschieht und wie das zentrale Nervensystem entsteht.

Warum sie aus den USA wieder nach Deutschland zurückkehrte, wie sie mit zwei Kindern zur Fachgebietsleiterin wurde und was sich seit 14 Jahren für Wissenschaftlerinnen immer noch nicht verändert hat, verrät sie im Interview.

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„Die Doktorarbeit gemacht zu haben war etwa so wie den Führerschein zu besitzen. Ich wusste, nun kann ich loslegen – also machte ich es!“

Kerstin Feistel

Wann haben Sie Ihre Leidenschaft für die Wissenschaft entdeckt?

Es gab eigentlich keinen genauen Zeitpunkt dafür. Aber schon als Kind fand ich die Biologie faszinierend. Mit zehn Jahren etwa habe ich mir dann zum Geburtstag einen Gartenteich gewünscht. Da hatte ich zum ersten Mal das Wort Biotop gehört und dachte: „Das klingt so toll, ein Biotop hätte ich auch gerne!“

Schon bald darauf saß ich dann vor meinem eigenen Teich, durfte Pflanzen und Goldfische einsetzen und habe Froschlaich, Libellen und Wasserläufer beobachtet.

Ich glaube, den Drang, Dingen auf den Grund zu gehen, habe ich von meinem Vater. Er war gelernter Schmied und Automechaniker und hat mit mir zusammen immer Dinge auseinandergenommen, um zu sehen, wie sie funktionieren – vom Kugelschreiber bis zum Viertaktmotor (vor allem, wenn sie nicht mehr funktioniert haben).

Meine Freude daran zu verstehen, wie eine Maschine funktioniert, ist ähnlich wie zu verstehen, wie ein Organismus funktioniert.

Damals hatte ich mir einen Bildband von National Geographic gewünscht, der „The Incredible Machine“ hieß und den menschlichen Körper vorstellte. Mit dieser Analogie konnte ich etwas anfangen – das hat mich total angesprochen.

Interessanterweise spielt Mechanik auch bei meiner Forschung heute eine wichtige Rolle, auch auf zellulärer Ebene. Wie sind Zellen miteinander verbunden? Wie bewegen sie sich? Wie entstehen und verformen sich Gewebe? Der Drang, der dahintersteckt, ist noch immer zu verstehen, wie etwas funktioniert – vom gesamten Tier bis hin zu einzelnen Proteinen in einer Zelle.

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„Es ist heute viel schwieriger geworden, in der Wissenschaft Fuß zu fassen.“

Kerstin Feistel

Was war die größte Herausforderung auf Ihrem Karriereweg?

Eine besonders herausstechende Herausforderung gab es bei mir nicht, aber der ganze Weg ist nicht einfach. Es ging ständig darum, sich von einer Stelle zur nächsten zu hangeln und Drittmittel einzuwerben. Forschungsanträge schreiben muss man schon mögen – das Schreiben ist aber auch immer ein kreativer Prozess, in dem man seine Ideen in die richtigen Bahnen lenkt.

Für mich hat sich im Grunde ein Schritt an den anderen gefügt, weil ich meiner Leidenschaft gefolgt bin. Nach dem Biologiestudium dachte ich mir, nun bin ich richtig fasziniert von der Sache, jetzt wäre es wirklich schade aufzuhören, also habe ich weitergemacht und die Doktorarbeit begonnen.

Nach der Doktorarbeit war es so, als hätte ich endlich den Führerschein für die Wissenschaft in der Tasche. Nun könnte ich fahren, dachte ich mir und habe weitergemacht.

Dann kam der Postdoc in den USA und meine Faszination ist weiter dageblieben. Ich glaube, ich bin ganz gut darin, Gelegenheiten zu erkennen und diese dann auch zu ergreifen. Eine solche Gelegenheit war es, als ich von meinem Doktorvater vom Wrangell-Fellowship erfahren habe.

Damals stand ich am Scheideweg: Entweder mit einem bewilligten Stipendium von der Multiple Sclerosis Society in den USA zu bleiben oder mit dem Wrangell-Fellowship zurück nach Deutschland zu kommen.

Ich habe mich für Deutschland entschieden und glaube auch, dass das für die Familie richtig war, denn ich war zu diesem Zeitpunkt bereits mit meiner ersten Tochter schwanger.

Ich hatte eigentlich nie geplant, wieder nach Hohenheim zurückzukommen, da ich hier ja auch studiert und promoviert habe. Aber hier konnte ich mit Hilfe des Margarete-von-Wrangell-Fellowships meine eigene Arbeitsgruppe am Institut für Zoologie etablieren.

In den letzten zwei Jahren habe ich die Professurvertretung der Zoologie übernommen. So konnte ich bereits eine Menge Erfahrungen sammeln, was es wirklich in der Praxis bedeutet, Professorin zu sein.

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„Das größte Problem für Frauen in der Wissenschaft ist immer noch dasselbe wie vor 20 Jahren: die Kinderbetreuung.“

Kerstin Feistel

Hatten Sie eine Mentorin oder ein Vorbild?

Ein wissenschaftliches Vorbild hatte ich tatsächlich nicht. Ich bin in einer Familie ohne akademischen Hintergrund aufgewachsen. Was studieren, wissenschaftliches Arbeiten und Promovieren wirklich bedeutet, habe ich nach und nach selbst herausfinden müssen.

Im Rückblick stelle ich fest, dass mir vor allem die Einstellung meines Vaters sehr geholfen hat: Er hat niemals in Frage gestellt, dass ich als Mädchen und Frau alles verstehen kann, was ich wissen möchte. Er hat immer Freude daran gehabt, mir Dinge zu erklären – was sicher die Grundlage dafür war, dass ich immer davon überzeugt war und bin, dass ich alles verstehen und wissen kann, wenn es nur gut erklärt wird!

Mein wissenschaftlicher Mentor war hauptsächlich mein Doktorvater, Martin Blum. Als Familienvater wusste er genau, wie schwierig der Spagat sein würde, Familie und Wissenschaft unter einen Hut zu bringen.

Deshalb hat er mir sehr viel Flexibilität ermöglicht. Ich glaube, ohne dieses Verständnis für meine Familie hätte das für mich nicht funktioniert.

Leider gab es in der Hohenheimer Biologie zu dem Zeitpunkt, als ich meine Kinder bekam, keine Professorinnen mit Kindern, an denen ich mich hätte orientieren können.

Aber durch das von-Wrangell-Programm war ich ja in Kontakt mit anderen Wissenschaftlerinnen, und diese Gemeinschaft – zu wissen, da sind Frauen aus unterschiedlichen Disziplinen und mit unterschiedlichen Lebensentwürfen, bei denen es auch irgendwie funktioniert – habe ich als große Unterstützung empfunden.

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„Ich hatte damals kein Role Model von einer Professorin, die auch Mutter war. Aber ich merke, dass junge Wissenschaftler:innen das nun in mir sehen.“

Kerstin Feistel

Ist es anders geworden, den wissenschaftlichen Karriereweg einzuschlagen?

Ich habe das Gefühl, dass sich gerade viel verändert in der Wissenschaft. Als ich angefangen habe, hatte ich keinen fertigen Karriereplan in der Tasche und habe mir wenig Gedanken gemacht, was in zehn Jahren sein würde.

Ich bin dem gefolgt, was mir am meisten Freude gemacht hat. Ich mag zwar das schwäbische Sprichwort „Es goht immer wieder a Dürle auf“, aber es braucht schon eine gewisse Risikobereitschaft.

Heute sehe ich nur wenige Student:innen, die genau das tun. Die meisten von ihnen haben ein großes Bedürfnis nach (finanzieller) Sicherheit, vielleicht weil wir in so einer unsicheren Zeit leben. Vielleicht ist das auch genau richtig so: einen strikten Plan zu haben, auch einen Plan B. Aber das hindert auch daran, den Schritt ins Ungewisse zu wagen und dadurch fallen Frauen unter Umständen wieder in ein traditionelleres Rollenbild zurück. Einfach weil die Unsicherheit größer geworden ist.

Mit der geplanten Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes könnte dieses Risiko vor allem für Frauen nochmal größer werden.

Gerade Wissenschaftlerinnen könnten die Chance, in einer noch kürzeren Zeit nach der Promotion in eine Professur zu gelangen, als viel zu gering erachten, weil sie mit dem Wunsch nach einer Familie kollidiert und vielleicht sagen, dass sie diese Unsicherheit und den wahnsinnigen Stress während dieser Zeit nicht aushalten könnten. Damit wird eine starke Bestenauslese betrieben.

Es gibt aber nicht nur die Allerbesten, sondern es gibt auch noch die Besten und die wirklich Guten. Und die fallen unter Umständen aus dem akademischen System heraus. Der Weg sieht heute im Grunde vor, von einer Postdoc-Stelle direkt in eine Juniorprofessur zu kommen, um im Tenure-Track-Programm zu bleiben.

Ich verstehe die Idee dahinter, aber in dieser Umbruchphase, in der das traditionelle deutsche akademische System umgebaut wird, in dem es auch feste Stellen im akademischen Mittelbau gab, ruckelt es im System. Im Moment hat sich der Spielraum in der für die Wissenschaft so wichtigen Postdoc-Phase verkleinert.

Wie bewerten Sie das Wrangell-Fellowship im Rückblick?

Das Wrangell-Fellowship hat mir viel ermöglicht, aber ich sehe es durchaus mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite hatte ich dadurch die Chance, von meiner Postdoc-Stelle aus den USA zurückzukommen. Vielleicht war das eine gute Entscheidung, vielleicht auch nicht.

So konnte ich jedenfalls wieder ins deutsche Wissenschaftssystem einsteigen, als meine Kinder noch klein waren. Sonst hätte ich das vielleicht nicht geschafft.

Ein Problem beim Wrangell-Fellowship war, dass Naturwissenschaftler:innen einen viel höheren Finanzbedarf für die Laborausstattung haben, als etwa Geisteswissenschaftler:innen. Um arbeitsfähig zu sein, mussten Naturwissenschaftler:innen im Margarete-von-Wrangell-Programm natürlich zusätzlich viel mehr Drittmittel einwerben, um überhaupt wissenschaftlich arbeiten zu können. Das kostet viel Zeit.

Was die Sichtbarkeit oder das Prestige angeht, habe ich Unterschiedliches erlebt. An der Universität Tübingen etwa scheint das Wrangell-Fellowship sehr hoch angesehen zu sein. Dort wurde Frauen, die sich erfolgreich beworben hatten, gratuliert.

Aber ich selbst habe in meinem Umfeld auch ganz andere Kommentare gehört. „Ach, das ist doch dieses Programm für Frauen mit Kind“, wurde da unwissend gesagt. Außerhalb Baden-Württembergs kennt das Programm sowieso keiner. Das ist beim Emmy Noether-Programm natürlich ganz anders. Da weiß jede:r, was darunter zu verstehen ist. Das ist schade, weil die Community der Wrangell-Fellows wirklich toll ist.

Es wäre schön, wenn das Wrangell-Fellowship populärer wäre.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf in anderen Ländern

Ich erinnere mich noch daran, dass mein Postdoc-Mentor in den USA damals sagte: „Es ist unglaublich, wie rückschrittlich das System in Deutschland in Bezug auf die Kinderbetreuung ist. Und wie viele Vorurteile es noch immer in den Köpfen gibt.“ Er konnte nicht glauben, dass viele Frauen hierzulande nicht oder nur in Teilzeit erwerbstätig sind.

In den USA ist es viel selbstverständlicher, dass Frauen schon früh nach der Geburt wieder in den Beruf einsteigen. Dort habe ich regelmäßig Mütter gesehen, die im extra eingerichteten Toilettenvorraum Milch abgepumpt haben. Das war normal. Ob es optimal ist kann man in Frage stellen, die Regelungen zu Mutterschutz und Elternzeit sind dort natürlich ganz andere. Aber zumindest war die Wahl, ganz bald nach der Geburt eines Kindes wieder zu arbeiten, nicht verpönt.

Hier war es so, dass die Krippe erst morgens um acht Uhr aufgemacht hat – und das war schon früh für eine Kita. Ich musste aber oft um 8:15 Uhr im Hörsaal stehen und das funktioniert nicht. Wenn man einen Kita-Platz hat, sind die Öffnungszeiten das nächste Problem. Von 7 – 19 Uhr wäre ideal. Das heißt ja nicht, dass ich es jeden Tag in Anspruch nehme, aber die Flexibilität muss ich haben.

Bei meinen Kindern hätte leider ein System wie die „Kinderfeuerwehr“ an der Universität Hohenheim nicht geholfen, weil ich dort meine Kinder bei ganz fremden Erzieher:innen hätte abgeben müssen – meine Mädels haben nicht mal die total nette Babysitterin von nebenan akzeptiert. Es wäre ideal, wenn jede Universität Krippe und Kita auf dem Campus oder zumindest in der Nähe hätte und es mit gutem Personal ausstatten könnte.

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„Eine funktionierende Kinderbetreuung ist das Wichtigste, um seiner Passion und seinem Beruf nachgehen zu können.“

Kerstin Feistel

Brauchen Frauen überhaupt noch spezielle Förderprogramme oder Unterstützung?

Am Anfang der Doktorarbeit haben mich Frauenprogramme eher genervt. Ich wusste nicht, wozu das gut sein sollte. Mir haben meine meist männlichen Mentoren (Vater, Doktorvater, Postdoc-Mentor) viel ermöglicht, und ich habe keine negativen Erfahrungen gemacht und hatte nie das Gefühl, als Frau hintenanzustehen.

Allerdings sehe ich es nun mit etwas anderen Augen. Es ist enorm wichtig, auf Gender Equality und Diversity zu achten, denn wenn wir dadurch unterschiedliche Lebensentwürfe in der Wissenschaft ermöglichen, leben wir vor, was alles möglich ist, und das bereichert über die Zeit die Art, wie wir Wissenschaft betreiben.

Mit Kindern oder zusätzlichen Care-Aufgaben ist es oft einfach schwieriger, die nötige Menge an Publikationen und Drittmittelprojekten zu erreichen. Und das ist durchaus auch abhängig vom Umfeld. An außeruniversitären Forschungseinrichtungen, an Universitäten mit Exzellenz-Clustern oder in großen Verbundprojekten ist die Unterstützung oft nochmal eine ganz andere.

Deshalb denke ich heute, dass es richtig ist, die Leistungen der einzelnen Wissenschaftler:innen auch im Lichte des individuellen Weges zu betrachten, wie es die DFG zum Beispiel ganz selbstverständlich tut.

Kerstin Feistel mit Student*innen

Privatdozentin Kerstin Feistel mit ihrem Team

Wissenschaftliche Karriere und Familie

Eine Generation von Wissenschaftler:innen, in der viele die Möglichkeit, Wissenschaft und Familie zu verbinden, nicht in den Vordergrund gestellt haben, ist oder geht jetzt in Rente. Viele Wissenschaftler sind mittlerweile engagierte Väter. Trotzdem ist es oft so, dass die Care-Arbeit nach wie vor hauptsächlich bei den Frauen hängenbleibt.

Auch bei meinem Mann und mir war das so, obwohl wir es ganz und gar nicht so geplant hatten. Das lag auch daran, dass er, als wir nach Deutschland zurückkamen, nur eine Stelle weiter weg gefunden hat und pendeln musste. Als unsere Kinder klein waren, war er also schlicht und einfach nicht da, wenn es darum ging, die Kinder zur Kita und Schule zu bringen, sie bei Krankheit früher abzuholen, zum Arzt zu gehen oder sonstiges. Ohne den unermüdlichen Einsatz meiner Schwiegermutter wäre vieles nicht möglich gewesen.

Hier in Hohenheim wurde sehr viel für mich getan. Frau Konca und Frau Mackenstedt aus dem Gleichstellungsbüro haben sich sehr eingesetzt. Sie haben damals gesagt, wenn jetzt eine Wissenschaftlerin mit dem Wrangell-Fellowship aus den USA zurückkommt nach Hohenheim, dann kann es ja nicht sein, dass wir ihr keinen Kitaplatz anbieten können. Dann habe ich tatsächlich bei meiner ersten Tochter ziemlich rasch einen Platz bekommen, erst nur drei Tage in der Woche, später dann fünf Tage.

Ein voller Betreuungsplatz heißt dann trotzdem nicht, dass die Arbeitszeiten abgedeckt sind, die man eigentlich bräuchte. Und das Problem zieht sich ja weiter: Wie soll denn eine tolle technische Assistentin, die nach der Geburt eines Kindes vielleicht recht schnell wieder in den Beruf einsteigen möchte, einen Kitaplatz bekommen? Da zieht das Argument „Wissenschaftlerin“ nicht – dabei hängt in einer Arbeitsgruppe ganz viel an solchen Mitarbeiterinnen.

Das größte Problem ist also immer noch dasselbe wie eh und je: die Kinderbetreuung. Ich habe vor 14 Jahren versucht, meine ältere Tochter in der Krippe und Kita unterzubekommen und heute sehe ich bei jungen Kolleg:innen, dass es noch genauso schwierig ist. Für meine jüngere Tochter habe ich erst gar keinen Krippenplatz bekommen. Also musste ich sie als Baby mit ins Büro nehmen. Ich war schließlich Arbeitsgruppenleiterin und konnte nicht einfach sagen, ich bin jetzt mal ein Jahr in Elternzeit, denn ich hatte ja Mitarbeiter:innen.

Also stand meine Tochter in der Wiege neben meinem Schreibtisch, oder ich hatte sie auf dem Arm, wenn ich eine Vorlesung gehalten habe. Das fanden viele Leute toll und pragmatisch – aber im Nachhinein betrachtet war es eine Notlösung und eine prekäre Situation. Ich würde heute niemandem raten, das so zu machen. Im Nachhinein höre ich nun von jüngeren Frauen, dass sie es toll finden, zu sehen wie es bei mir funktioniert hat. Natürlich bin ich gerne ein Vorbild, aber eine verlässliche Kinderbetreuung ist essenziell, um als Wissenschaftler:in arbeiten zu können.

Es hat einfach einen Einfluss, weniger Zeit zur Verfügung zu haben. Erst mit Corona und dem Homeoffice hat sich das Blatt bei uns zuhause gewendet. Seit der Arbeitgeber meines Mannes gemerkt hat, dass es auch mit Homeoffice funktioniert, können wir die Familienaufgaben viel besser unter uns aufteilen. Allerdings sind die Kinder nun schön älter und viel selbstständiger.

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„Eigentlich sollte jede Universität gezwungen werden, ein Kinderhaus auf ihrem Campus zu bauen und mit gutem Personal auszustatten.“

Kerstin Feistel

Aktuelle Forschung

In meiner Arbeitsgruppe versuchen wir zu verstehen, wie sich während der Embryonalentwicklung das zentrale Nervensystem bildet, wie also Gehirn und Rückenmark entstehen. Die frühesten Schritte bestehen darin, dass Zellen der sogenannten Neuralplatte ihre Form verändern und wandern müssen. Aus einem flachen Gewebe entsteht so ein geschlossenes Rohr – das Neuralrohr.

Beim Menschen geschieht dieser Schritt während der dritten Schwangerschaftswoche – und wenn hier etwas schiefläuft, dann können sogenannte Neuralrohrschlussdefekte entstehen, die zu den häufigsten angeborenen Fehlbildungen beim Menschen zählen. Sie führen beispielsweise zu schwerwiegenden Defekten des Gehirns oder zu Spina Bifida, im Sprachgebrauch auch „offener Rücken“ genannt. Seit langem wissen wir, dass z.B. Alkohol zum Zeitpunkt des Neuralrohrschlusses sehr schädlich sein kann, aber auch, dass die Einnahme von Folsäure die Zahl von Neuralrohrschlussdefekten in vielen Ländern stark reduziert hat.

Leider ist immer noch nicht klar, was auf zellulärer Ebene tatsächlich geschieht. Hier setzt unsere Forschung an: wir nutzen Kaulquappen des Afrikanischen Krallenfroschs Xenopus laevis, um die Mechanismen des Neuralrohrschlusses zu entschlüsseln. Die Eier des Frosches entwickeln sich nach der Befruchtung innerhalb von fünf Tagen zu einer Kaulquappe, bereits nach einem Tag ist der Neuralrohrschluss vollzogen. Das können wir in der Petrischale wunderbar beobachten, manipulieren und analysieren. Wir untersuchen, wie bestimmte Zellbewegungen und Zellformveränderungen zum Neuralrohrschluss beitragen und wollen im Endeffekt sowohl verstehen, was die Bewegungen initiiert und koordiniert als auch, wie die Bewegungen durch Proteine innerhalb der Zelle tatsächlich umgesetzt werden.

Es ist natürlich an sich schon faszinierend, diese Prozesse zu analysieren und nach und nach die absoluten Grundlagen der Bildung des zentralen Nervensystems zu verstehen. Gleichzeitig ist es schön zu wissen, dass die Ergebnisse, die wir erzielen, jederzeit maßgeblich für präventive Maßnahmen und die mögliche Behandlung von Entwicklungsdefekten sein können.

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„Ich lebe generell nach dem schwäbischen Sprichwort ´Es goht immer wieder a Dürle auf´“

Kerstin Feistel

Steckbrief

Name: Kerstin Feistel

Jahrgang: 1978

Forschungsgebiet: Entwicklungsbiologie

Universität und Lehrstuhl: Institut für Biologie, Fachgebiet Zoologie der Universität Hohenheim

Kinder: 2 (14 & 12 Jahre)

Portrait Kerstin Feistel

Kerstin Feistels Werdegang

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Studium der Biologie an der Universität Hohenheim (1997 – 2003)

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Promotion an der Universität Hohenheim (2007)

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Postdoctoral Fellow an der Division of Neuroscience der Oregon Health and Science University, Portland, OR, USA (2007 – 2009)

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Arbeitsgruppenleiterin am Institut für Zoologie der Universität Hohenheim (seit 2009)

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Wrangell-Fellow (2009 – 2015)

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Habilitation und Lehrbefugnis (Privatdozentin) (2018)

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Vertretungsprofessur und Fachgebietsleitung, Fachgebiet Zoologie der Universität Hohenheim (Juli 2021 – August 2023)

Quelle

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Interview mit Kerstin Feistel am 19.07.2023

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