Interview mit Wrangell-Fellow-Professorin Amélia Camarinha da Silva
Wie mir ein Semester im Ausland den Weg in die Welt der Mikroben wies
Alles begann mit einem Austauschprogramm. Als Amélia Camarinha da Silva nach Deutschland kam, um am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung zu arbeiten, entdeckte sie ihre Leidenschaft: Mikroben. Die Arbeit im Labor machte ihr so viel Spaß, dass sie anfing, über eine wissenschaftliche Karriere nachzudenken.
So kehrte sie schließlich nach Deutschland zurück und arbeitete sich an der Universität Hohenheim in atemberaubender Geschwindigkeit von der Forschungsassistentin zur Juniorprofessorin hoch. Im Interview erzählt sie, was es für sie bedeutete, eine Balance zwischen wissenschaftlicher Karriere und Familie zu finden.
„Ich hätte nie gedacht, dass Darmbakterien einmal meine Leidenschaft werden würden.“
Amélia da Silva
Wann haben Sie Ihre Leidenschaft für die Wissenschaft entdeckt?
Ich wurde in Portugal geboren und wuchs dort auf. Die akademische Laufbahn einzuschlagen hatte ich anfangs gar nicht auf dem Schirm. Für mich spielten eher praktische Überlegungen eine Rolle. Ich war eine durchschnittliche Schülerin und mochte Geschichte, Archäologie und Naturwissenschaften.
Als ich eine Vertiefungsrichtung wählen musste, entschied ich mich für die Naturwissenschaften, weil ich damit besseren Berufsaussichten hatte. Das war mein erster Schritt in diese Richtung.
Aber ich hätte nie gedacht, dass ich in der Welt der Mikrobiologie landen würde. Meine Leidenschaft habe ich erst während meines Studiums entdeckt. Ich hatte mich in Portugal für Umwelttechnik eingeschrieben und wollte ein Auslandssemester machen.
So bewarb ich mich für das Leonardo-da-Vinci Programm und landete am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Dort arbeitete ich in einem Labor und entdeckte, wie viel Spaß mir die Forschung machte. Das war der entscheidende Wendepunkt für meine Karriere.
Nach dem Abschluss meines Studiums kehrte ich nach Deutschland zurück und machte meinen Doktor in Mikrobiologie. Mein Thema waren mikrobiellen Gemeinschaften in der vorderen Nasenhöhle.
Das war mein Einstieg in die Mikrobiom-Forschung. Als mein Mann wegen seines Jobs nach Stuttgart ziehen musste, begann ich mich hier nach einer Stelle an einer Universität umzusehen. Und entdeckte die Stellenausschreibung für Datenanalyse als wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität Hohenheim.
Bald ergab sich die Gelegenheit, Nachwuchsgruppenleiterin für das Mikrobiom bei Nutztieren zu werden und ich ergriff die Chance. Als die Stelle auslief, bewarb ich mich für das Margarete-von-Wrangell-Fellowship und wurde angenommen.
Noch während des Fellowships wurde eine Juniorprofessur in meinem Fachgebiet ausgeschrieben – und ich bewarb mich auch darauf. So kam ich in den Tenure-Track-Prozess für eine Juniorprofessur.
„Als Wissenschaftler:innen führen wir ein Leben voller Unsicherheiten und müssen uns von einem befristeten Vertrag zum nächsten Hangeln. Das ist die größte Herausforderung.“
Amélia da Silva
Was war die größte Herausforderung auf Ihrem Karriereweg?
Die größte Hürde war für mich die kurzfristigen Verträge in der Wissenschaft und die damit verbundene Unsicherheit. Ständig musste ich mich von einer Stelle zur nächsten hangeln – das ist nicht einfach. Aber ich wollte diesen Weg gehen und meiner Leidenschaft folgen und deshalb habe ich einfach immer weiter gemacht. Ein Schritt nach dem anderen.
Die Stelle als Nachwuchsgruppenleiterin am Institut für Nutztierwissenschaften war auf fünf Jahre befristet. So musste ich mich rechtzeitig auf die Suche nach einer neuen Position machen und da kam das Margarete-von-Wrangell-Fellowship genau zur richtigen Zeit.
Damit habe ich die Entscheidung getroffen, den Karriereweg zur Professur einzuschlagen.
Das erste Jahr als Juniorprofessorin im Tenure-Track-Programm war besonders hart. Es war ein großer Kraftakt, einerseits Mutter zu werden und andererseits ein Labor aufzubauen, Personal einzustellen und die Bürokratie zu verstehen.
Vor allem weil das Kinderbetreuungssystem nicht auf zwei in Vollzeit arbeitende Eltern ausgelegt ist.
Hatten Sie eine Mentorin oder ein Vorbild?
Während meines Studiums in Portugal hatte ich glücklicherweise mehrere Professorinnen, die mich stark beeinflusst haben. Eine von ihnen gab mir auch den entscheidenden Tipp für mein Auslandssemester beim Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung.
Dieser Ratschlag war ein Wendepunkt in meiner Karriere und führte mich schließlich nach Deutschland. Bis dahin hatte ich mir eher eine berufliche Zukunft im Umweltmanagement vorgestellt, vielleicht in einer Stadtverwaltung oder in der Abfallbehandlung. In meinem Studiengang gab es kaum Studierende, die den wissenschaftlichen Karriereweg einschlugen.
Im weiteren Verlauf meiner Karriere hatte ich mehrere Vorbilder, angefangen bei meinem Doktorvater über Projekt-Partner bis hin zu Kolleg:innen an der Universität Hohenheim. Sie haben mich bei meinen Bewerbungen für das Margarete-von-Wrangell-Fellowship und die Juniorprofessur sehr unterstützt und ihre Ratschläge hatten einen erheblichen Einfluss auf meinen akademischen Werdegang.
Amélia da Silva im Labor
Amélia da Silva in der Lehre
„Erst während meiner Promotion habe ich angefangen, mich mit dem Mikrobiom und Darmbakterien zu beschäftigen.“
Amélia da Silva
Wann war für Sie klar, dass Sie Professorin werden wollten?
Das hat sich erst später herausgestellt. Als Kind war ich von Archäologie fasziniert und auch Geschichte gehörte in der siebten oder achten Klasse zu meinen Lieblingsfächern. Als ich jedoch die 10. Klasse erreichte, musste ich mich für eine Spezialisierung entscheiden – entweder Naturwissenschaften, Wirtschaft, Kunst oder Sprachen.
Ich wählte die Naturwissenschaften, weil ich mir damit bessere Karrierechancen erhoffte.
Erst mit dem Margarete von Wrangell-Fellowship habe ich dann den Weg zur Professur eingeschlagen. Bis dahin war meine Karriere einfach eine Abfolge von Chancen, die ich ergriffen habe. Ich hatte nicht von Anfang an das klare Ziel, einmal Professorin zu werden. Sondern ich habe Gelegenheiten genutzt und war auch bereit, gewisse Risiken einzugehen.
Vielleicht war ich auch ein wenig naiv. Aber mit dem Wrangell-Fellowship habe ich dann entschieden, dass ich in der Wissenschaft bleiben und dort Karriere machen will.
Wie bewerten Sie das Wrangell-Fellowship im Rückblick?
Ich war nur ein Jahr eine Wrangell-Fellow, aber währenddessen habe ich das Fellowship als sehr gut organisiert erlebt. Wir hatten Seminare, Coaching-Sitzungen und ein Mentoring-Programm. Das Fellowship bot mir nicht nur finanzielle Sicherheit, sondern hat mir auch die Freiheit gegeben, mein Thema zu erforschen.
Besonders den Austausch unter Frauen empfand ich als besonders wertvoll. Es war eine sehr unterstützende Gemeinschaft, die für mich unerlässlich war, um auf meinem wissenschaftlichen Karriereweg voranzukommen.
„Es ist nicht einfach, gleichzeitig Mutter und Wissenschaftlerin zu sein, vor allem, weil uns das Kinderbetreuungssystem viel zu wenig unterstützt.“
Amélia da Silva
Brauchen Frauen überhaupt noch spezielle Förderprogramme oder Unterstützung?
Ja, spezialisierte Unterstützungsprogramme für Frauen sind nach wie vor unerlässlich. Obwohl viele Frauen einen Doktortitel erwerben, gibt es deutlich weniger Frauen in akademischen Führungspositionen. Ich habe nie Vorurteile erlebt, sondern meine männlichen Mentoren haben mich stets unterstützt und ermutigt, allen voran mein Doktorvater. Er hat mir zum Beispiel geholfen, mein Labor mit kostengünstigen Geräten einzurichten und er hat mich auch auf das Margarete-von-Wrangell-Fellowship aufmerksam gemacht und mich auf meinem Weg zur Professur bestärkt.
Das Institut in Hohenheim hat mich selbstverständlich aufgenommen und Männer haben eine fördernde Rolle in meinem beruflichen Alltag gespielt. Allerdings ist mir klar, dass ich privilegiert bin und nicht alle Wissenschaftlerinnen so viel Unterstützung erhalten. Deshalb brauchen wir nach wie vor Initiativen, die Frauen in Wissenschaft und Hochschulwesen fördern.
Haben Sie jemals Sprüche gehört oder sich benachteiligt gefühlt, weil Sie eine Frau sind?
Ich hatte Glück und habe mich in meinem Fachgebiet als Frau nie benachteiligt gefühlt. Aber mir ist bewusst, dass die Wissenschaft nach wie vor männerdominiert ist. Kommentare wie „Sie hat das bekommen, weil sie eine Frau ist“ zeigen, welche Vorurteile es noch immer gibt. Für mich bestand die eigentliche Herausforderung jedoch darin, die Balance zwischen Mutterschaft und einer wissenschaftlichen Karriere zu finden.
Kinderbetreuungseinrichtungen, die oft nach traditionellen Zeitplänen arbeiten, passten nicht zu unserem Berufsleben. Mein Mann und ich arbeiten beide in Vollzeit. Das bedeutet, dass wir an vielen Abenden oder Wochenenden arbeiten müssen, um alles unter einen Hut zu bekommen und das ist eine echte Herausforderung.
Nach wie vor sehe ich viele Mütter, die ihre „freie“ Zeit nutzen, um zu arbeiten und natürlich nicht so viel Zeit haben wie Kolleg:innen ohne Kinder. Das wirkt sich auch auf die Karrierechancen aus.
Es gibt immer noch das Vorurteil, dass die Elternzeit eine Phase ist, in der Wissenschaftler:innen nebenher Paper oder Projektanträge schreiben können. Das ist aber keineswegs so und hängt sehr vom Kind ab. Obwohl ich sehr dankbar dafür bin, dass mich mein Ehemann und mein Team so unterstützen, brauchen wir einen Perspektivwechsel in der Gesellschaft.
Immer noch tragen in vielen Haushalten Frauen die Hauptverantwortung für die Kinderbetreuung. Und das wird durch die unzureichenden Öffnungszeiten von Kitas und Kindergärten, gerade in Süddeutschland, noch verstärkt.
Wie blicken Sie auf das zurück, was Sie erreicht haben?
Aktuell bin ich in der letzten Phase des Tenure-Track-Prozesses. Obwohl es einige Herausforderungen gab, waren die kleinen Hürden für mich wertvolle Lektionen, die mich widerstandsfähiger gemacht haben und mich in meinem persönlichen Wachstum gefördert haben. Ich habe es nie bereut, Wissenschaftlerin zu werden, und ich glaube nicht, dass ich es jemals bereuen werde, Professorin zu sein.
„Das Mikrobiom verknüpft verschiedene Forschungsbereiche miteinander und hilft uns, die Gesundheit von Nutztieren ganzheitlich zu verbessern.“
Amélia da Silva
Aktuelle Forschung
In unserer laufenden Forschung konzentrieren wir uns auf das Mikrobiom im Darm von Nutztieren. Wir erforschen, welchen Einfluss Faktoren wie die Ernährung, Genetik, Immunologie und die Umwelt auf das Mikrobiom haben. Das Mikrobiom im Magen-Darm-Trakt, früher hieß es Darmflora, spielt eine wichtige Rolle bei Infektionskrankheiten. Wir erforschen, wie wir das Mikrobiom so verändern können, dass es förderlich für die Gesundheit von Nutztieren ist – und das hat am Ende auch Auswirkungen auf die Gesundheit von uns Menschen.
Dabei untersuchen wir unter anderem mit Kolleg:innen vom Institut, inwieweit die Züchtung das Mikrobiom beeinflusst. Dazu identifizieren wir diejenigen Bakterien, welche die bakterielle Futterverwertungsraten bei Tieren verbessern können. Wir haben Hinweise darauf, dass es bestimmte Bakteriengruppen gibt, die sowohl die Effizienz als auch die Gesundheit von Nutztieren verbessern. Indem wir entweder die richtige Ernährung bereitstellen oder die Bakterienkulturen verändern, fördern wir die vorteilhaften Mikroorganismen und minimieren so Tierkrankheiten.
Außerdem wollen wir herausfinden, welche Mikroorganismen die Aufnahme lebenswichtiger Mineralien wie Phosphor, Stickstoff und Calcium erleichtern. Das ist vor allem auch deshalb relevant, weil die Phosphorreserven schwinden. Umso wichtiger ist es, die Mechanismen zu verstehen, die für die Mineralstoffaufnahme wichtig sind. Das ist für die Nachhaltigkeit ein sehr wichtiger Faktor, weil wir dann weniger Rohstoffe benötigen und die vorhandenen besser nutzen können.
Steckbrief
Name: Amélia Camarinha Silva
Jahrgang: 1981
Forschungsbereich: Mikrobiom von Nutztieren
Universität und Abteilung: Universität Hohenheim, Institut für Nutztierwissenschaften, Fachgebiet für Mikrobielle Ökologie bei Nutztieren
Kinder: 1 (4 Jahre)
Amélia da Silvas Werdegang
Diplom als Umweltingenieurin an der Katholischen Universität von Portugal (Porto, Portugal)
Promotion am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (Braunschweig)
Promotion (Dr. rer. nat.) in Naturwissenschaften, insbesondere Molekulare Mikrobiologie, Universität Braunschweig
Juli 2014 – Dezember 2017 Nachwuchsgruppenleiterin am Institut für Nutztierwissenschaften der Universität Hohenheim
Seit Januar 2018 Jun.-Prof. und Leiterin der Abteilung Mikrobielle Ökologie von Nutztieren am Institut für Nutztierwissenschaften der Universität Hohenheim
Preise und persönliche Stipendien
2021 – Förderpreis der H. Wilhelm Schaumann-Stiftung H. Wilhelm Schaumann Foundation
2016 – Margarete von Wrangell Habilitation programme
Quelle
Interview mit Amélia Camarinha da Silva am 28.03.2023