Interview mit der Wrangell-Fellow Professorin Annette Reineke
Vom Gewächshaus im Garten zur Phytomedizin
Annette Reineke ist eine der ersten Absolventinnen des Wrangell-Fellowships. Nach dem Studium der Agrarwissenschaft und ihrer Promotion in Phytomedizin wurde sie als Wrangell-Fellow Professorin.
Im Interview berichtet sie, was ihre größten Herausforderungen waren und wie sie mit kleinen Kindern eine wissenschaftliche Karriere machen konnte.
„Als ich zum ersten Mal vom Beruf des Phytomediziners gehört habe, wusste ich sofort, dass es das ist, was ich machen möchte.“
Annette Reineke
Wann haben Sie Ihre Leidenschaft für die Wissenschaft entdeckt?
Schon als Kind habe ich mich für Pflanzen und die Natur interessiert. Als ich etwa 13 Jahre alt war, haben mir meine Eltern ein kleines eigenes Gewächshaus für unseren Garten geschenkt. Dort habe ich Tomaten und Gurken angebaut und gemerkt, wie viel Spaß mir das macht. Warum wachsen manche Pflanzen besser als andere? Was kann ich gegen Mehltau oder Blattläuse tun? Solche Fragen habe ich mir damals gestellt.
In der Schule habe ich dann Biologie als Leistungskurs gewählt. Als wir mit dem Abiturjahrgang zu einem Berufsinformationszentrum gegangen sind – Ende der 1980er Jahre gab es ja noch kein Internet wie heute – habe ich zum ersten Mal vom Beruf des Phytomediziners gehört. Ich wusste sofort, dass es das ist, was ich machen möchte.
Dafür war ein Studium in Biologie, Agrarwissenschaften oder Gartenbau nötig. Nach einer Schnuppervorlesung in Biologie wurde mir klar, dass mir das zu theoretisch ist, und ich bin bei den Agrarwissenschaften gelandet.
Ich wollte immer im Labor experimentieren und etwas erforschen, was sich in der Praxis anwenden lässt. Zum Beispiel wie Pilzsporen mit Pflanzen interagieren. Vor Studienbeginn habe ich ein Jahr auf einem Bauernhof gearbeitet, um die praktische Arbeit kennenzulernen. Dann habe ich in Bonn studiert, verschiedene Praktika in Neuseeland, Frankreich und am Bodensee absolviert und bin schließlich nach Hohenheim gekommen.
Was war die größte Herausforderung auf Ihrem Karriereweg?
Das ist eine schwierige Frage. Ich hatte das Glück, dass ich nie eine Phase hatte, wo ich nicht wusste, wie es weitergeht, weil ein Vertrag ausläuft. Bei mir ging immer eine Stelle nahtlos in die nächste über.
Meine größte Herausforderung war eher die Zeit, als meine zwei Kinder noch sehr klein waren und wir umgezogen sind. Als ich von Hohenheim nach Jena wechselte, gab es dort nicht sofort eine Wohnung für uns, und so bin ich drei Monate lang gependelt. Jeden Sonntag die Koffer zu packen und erst am Freitag wieder zurückzukommen, als meine Kinder unter drei Jahren alt waren, das war nicht einfach.
Homeoffice gab es nicht, das war damals undenkbar: Mein Versuch, eine Erlaubnis zu bekommen, von zuhause aus zu arbeiten, scheiterte kläglich. Es waren andere Zeiten.
Für meinen Mann und mich waren das sehr anstrengende Jahre. Er hat unter der Woche die Kinder komplett allein betreut, und ich fühlte mich nicht wohl dabei, die ganze Woche von meiner noch sehr jungen Familie getrennt zu sein. Da hätte mir mehr Flexibilität vom Arbeitgeber sehr geholfen.
„Ich bin einfach meiner Leidenschaft gefolgt und immer einen Schritt nach dem anderen gegangen.“
Annette Reineke
Hatten Sie eine Mentorin oder ein Vorbild?
Mein Mentor war mein Doktorvater Professor Claus Paul Walter Zebitz von der Universität Hohenheim, der mittlerweile schon im Ruhestand ist. Ihm habe ich viel zu verdanken, weil er mir ausreichend Freiraum gelassen hat, meinen Arbeitsalltag zu gestalten. Das hat mir sehr geholfen in dieser Phase, vor allem weil meine beiden Kinder noch klein waren.
Über das Wrangell-Fellowship brachte ich das Geld für meine eigene Stelle mit, aber es ist nicht selbstverständlich, dass ich alle Laborgeräte mitbenutzen und alles selbst gestalten konnte.
Für mich war es eigentlich nie wichtig, ob ein Vorbild männlich oder weiblich ist, sondern ich habe eher geschaut, wer mich inspiriert: Wer eine enthusiastische, begeisternde Lehre gemacht hat, so dass der Funke überspringt. Ob jemand noch Familie mit kleineren Kindern zuhause hat, das hat mich damals nicht wirklich interessiert.
Natürlich ist es hilfreich zu sehen, dass die Vereinbarkeit von Uni-Karriere und Familie machbar ist. Und es ist sehr hilfreich, selbst die Flexibilität zu bekommen, wenn man sie braucht.
Wann war für Sie klar, dass Sie Professorin werden wollten?
Das wurde mir erst nach meiner Promotion so richtig klar. Meinen Karriereweg habe ich nie komplett geplant, dafür hält die akademische Karriere auch zu viele Unwägbarkeiten parat. Sondern ich bin immer meiner Leidenschaft gefolgt, und das rate ich heute auch meinen Student:innen. Wissenschaft muss einem Spaß machen, aber es ist unklug, sich zu sehr auf eine Linie zu versteifen. Ich habe immer Chancen ergriffen, die sich mir geboten haben und so hat ein Schritt zum nächsten geführt.
Direkt nach meiner Diplomarbeit habe ich mein erstes Paper veröffentlicht – nicht, weil ich damals schon versucht habe, möglichst früh zu publizieren, sondern weil ich das Thema so spannend fand. Aber ich war immer offen für andere Wege. Parallel zu meiner Diplomarbeit habe ich zum Beispiel ein Dreivierteljahr am Flughafen gearbeitet, um Geld zum Reisen zu verdienen und auch mal etwas anderes auszuprobieren.
Erst als ich nach meiner Promotion mit einem Postdoktoranden-Stipendium der DFG nach Australien kam, wurde mir klar, dass ich in der Wissenschaft bleiben wollte und der nächste logische Schritt die Habilitation war. Das lag wohl auch daran, weil ich dort viele Postdocs in einer ähnlichen Situation traf, bei denen die Habilitation anstand.
Als ich dann über das Wrangell-Fellowship die Chance dazu bekam, habe ich sie ergriffen und noch von Australien aus ein Forschungskonzept geschrieben. So habe ich dann den Weg zur Habilitation und damit zur Professur eingeschlagen.
Prof. Annette Reineke im Labor
© Foto: Hochschule Geisenheim
Wie bewerten Sie das Wrangell-Fellowship im Rückblick?
Das Wrangell-Fellowship hat mir viel ermöglicht. Besonders positiv habe ich die finanzielle Unabhängigkeit über einen längeren Zeitraum empfunden und meine eigene Stelle zu haben, ohne von einer oder einem Vorgesetzten abhängig zu sein. Das hat vieles erleichtert.
Ich weiß gar nicht mehr genau, wo ich vom Fellowship erfahren habe. Wahrscheinlich über den Newsletter der Universität Hohenheim oder über meinen Doktorvater. Aber ich weiß noch, dass ich für ein Beratungsgespräch von Australien aus nach Hohenheim gekommen bin und mich in der ersten Runde im Jahr 2000 beworben habe. Ein Jahr später habe ich das Fellowship dann angetreten. Hätte ich die Stelle nicht bekommen, wäre ich vielleicht in die Wirtschaft gegangen. Schließlich liegen Habilitationsstellen nicht auf der Straße.
Zu wissen, wie es nach meiner Rückkehr von Australien nach Deutschland weitergehen würde, hat mir hat mir den nächsten Schritt nach der PostDoc-Zeit ermöglicht.
Das Wichtigste war aber, finanziell abgesichert zu sein und meine eigene Stelle hat mir ermöglicht, unabhängig und sehr flexibel arbeiten zu können. So hatte ich auch nie ein schlechtes Gewissen für die Stellenbesetzung während der Zeit meines Mutterschutzes, da das Wrangell-Fellowship personengebunden ist und und ich damit keine Haushaltsstellen der Universität besetzte.
Gleichzeitig fand ich das Netzwerk der Wrangell-Fellows sehr hilfreich, weil wir uns zu allen Themen ausgetauscht haben. Nicht nur über die Arbeit, sondern auch über private Themen. Andere Frauen zu sehen, die mit Kindern dieselbe Karriere machen und es auch hinbekommen, hat mich sehr motiviert.
Die Mentoring-Programme und die Fortbildungen, etwa wie man am besten einen Drittmittel-Antrag schreibt oder vor einer Kommission auftritt, haben mir auf alle Fälle etwas gebracht. Das war wie ein persönliches Coaching, und der lange Zeitraum der Förderung hat mir eine gewisse Sicherheit gegeben.
„Das Wrangell-Fellowship hat mir viel ermöglicht. Vor allem durch die finanzielle Unabhängigkeit über einen längeren Zeitraum und die Flexibilität, die eine eigene Stelle bietet.“
Annette Reineke
Brauchen Frauen überhaupt noch spezielle Förderprogramme oder Unterstützung?
Eines dürfen wir nicht vergessen: Es gibt einen Unterschied – Männer können keine Kinder bekommen. Die Phase der Familienplanung fällt meist in die Phase der Habilitation oder in die Qualifikation zur Professur. Deshalb ist gerade in dieser Zeit ein entsprechender Freiraum nötig.
Es ist eben etwas anderes, eine eigene Stelle zu haben und selbst entscheiden zu können oder auf das Wohlwollen einer Führungskraft angewiesen zu sein, ob sie einer Stundenreduzierung zustimmt oder nicht. Insofern ist in dieser Phase Flexibilität und Unabhängigkeit sehr viel wert.
Wenn eine Juniorprofessorin zum Beispiel ein Team aus Wissenschaftler:innen hat, kann sie ihre Stunden zugunsten von Kindern etwas reduzieren, und Forschung und Lehre werden vom Team weitergeführt. Das ist natürlich eine Entlastung.
Ich finde es wichtig, dass Wissenschaftlerinnen nicht in die Bredouille kommen, sich zwischen Familie und Karriere entscheiden zu müssen. Auch für unsere Wissenschaftslandschaft wäre das nicht gut. Deshalb halte ich eine Unterstützung für junge Familien in dieser Phase für essenziell.
Wissenschaftliche Karriere und Familie
Mein erster Sohn ist während meiner Postdoc-Phase in Australien geboren, der zweite kam während des Wrangell-Fellowships zur Welt. Damals haben wir nur wenige Gehminuten entfernt von der Universität Hohenheim gewohnt, was mir vieles erleichtert hat.
Mein Mann ist Freiberufler und konnte sehr flexibel arbeiten. Deswegen war es für ihn auch kein Problem, als wir nach Australien gegangen sind, weil er auch dort arbeiten konnte. Ohne ihn und seine Flexibilität hätte ich Karriere und Familie wohl kaum geschafft. Es ist etwas anderes, ob beide Partner von morgens bis abends aus dem Haus sind oder ob einer seine Arbeitszeit frei gestalten kann. So konnten wir den Tag gemeinsam beginnen und haben die Betreuung zwischendurch auch über eine Tagesmutter geregelt. Das war manchmal anstrengend, aber wir haben immer versucht, es so aufzuteilen, dass es für uns beide gepasst hat. So habe ich es auch bei anderen Wrangell-Fellows erlebt. Das hat mir auch Rückhalt in dieser herausfordernden Zeit gegeben.
Was ich deutlich gespürt habe, war ein Ost-West-Gefälle bei der Kinderbetreuung. Nach dem Wrangell-Fellowship bin ich an ein Max-Plack-Institut nach Jena gegangen. Da war mein jüngster Sohn anderthalb Jahre alt, und wir haben sofort für beide Kinder einen Ganztagsplatz in einem Kindergarten bekommen. Am Institut haben viele internationale Wissenschaftler:innen aus allen möglichen Ländern gearbeitet. Da gab es alle Modelle und viele familienfreundliche Möglichkeiten. Das habe ich sehr positiv in Erinnerung.
In Stuttgart war das ganz anders. Dort endete die Kinderbetreuung um 13 Uhr und es gab keine Ganztagesplätze. Das war ein ganz großer Unterschied. Irgendwie haben wir das hinbekommen, aber einfach war es nicht.
„Was ich deutlich gespürt habe, war ein Ost-West-Gefälle bei der Kinderbetreuung. In Jena war einfach alles viel flexibler.“
Annette Reineke
Haben Sie jemals Sprüche gehört oder sich benachteiligt gefühlt, weil Sie eine Frau sind?
Benachteiligt habe ich mich nie gefühlt, aber ich habe schon einige Sprüche gehört, vor allem in Berufungskommissionen. Da musste ich mir ein dickes Fell zulegen.
Eine Situation ist mir besonders in Erinnerung geblieben – allerdings war das nicht in Deutschland. Als ich nach meinem Vortrag vor die Berufungskommission trat, saßen mir 15 Männer und die Frauenbeauftragte gegenüber. Normalerweise geht es bei einer Berufungskommission nach dem Vortrag erst einmal um das Fachliche. Aber der Vorsitzende sagte zur Begrüßung: „Guten Tag, Frau Reineke. Wir haben gesehen, Sie haben zwei Kinder. Sie haben ja hoffentlich auch einen Mann dazu.“ Das war der Einstieg in das Gespräch. Heute wäre das ein Grund, um einer Kommissionsleitung den Vorsitz zu entziehen. Denn natürlich sollte bei Begutachtungen immer das Fachliche im Vordergrund stehen.
Deshalb versuche ich selbst als Begutachterin immer auszublenden, ob jetzt ein Mann oder eine Frau vor mir steht. Nur wenn zwei Kandidat:innen sehr eng beieinander liegen, zieht man andere Kriterien der Beurteilung mit hinzu. Etwa, ob eine geringere Anzahl an Publikationen einer Elternzeit geschuldet war. Darauf wird heute schon geachtet.
Insgesamt denke ich, dass es den ein oder anderen Spruch immer geben wird, wir Frauen uns darüber aber nicht zu viele Gedanken machen sollten. Etwa, wenn es heißt „Den Job hast du doch nur wegen der Quote bekommen.“ Da sollten wir drüberstehen. Ich habe noch nie erlebt, dass eine Frau eine Position nur deshalb bekommen hat, weil sie eine Frau ist. Wenn ein Mann besser qualifiziert ist, bekommt er natürlich die Stelle, das ist keine Frage.
Je mehr Berufungskommissionen auch zur Hälfte mit Frauen besetzt sind, desto mehr erübrigen sich auch solche Fragen. Eines ist klar: Wer Kinder hat, muss zurückstecken, was die so genannte Work-Life-Balance angeht. Der Tag ist mit Arbeit und der Kinderbetreuung gefüllt, und Zeit für einen selbst bleibt da nicht.
Meine Veröffentlichungen habe ich nachts oder am Wochenende geschrieben. Damals gab es nur den Mutterschutz, keine Elternzeit, also habe ich sehr schnell wieder gearbeitet. Heute ist die Sicht darauf etwas anders, und ich denke, auch die Ansprüche haben sich gewandelt. Ich glaube, ich habe gelernt, meine Zeit möglichst effizient zu nutzen, aber benachteiligt habe ich mich nie gefühlt.
„Es ist ratsam, sich als Frau ein dickes Fell zuzulegen, weil es immer mal einen Spruch gibt. Aber benachteiligt habe ich mich nie gefühlt.“
Annette Reineke
Wann ist eine Unterstützung auf dem Karriereweg sinnvoll?
Die Zahlen sprechen für sich: Sobald die Phase der Familienplanung anfängt, meist mit Ende 20 oder Anfang 30, sinkt die Zahl der Frauen in der Wissenschaft. Deshalb denke ich, dass in dieser Phase Förderprogramme sinnvoll sind.
Es ist sehr hilfreich, in dieser Phase eine finanzielle Sicherheit über mehrere Jahre zu haben, so wie beim Wrangell-Fellowship über fünf Jahre. Mir haben vier Jahre gereicht, dann habe ich eine andere Stelle bekommen und bin etwas früher ausgestiegen. Aber die Sicherheit zu haben, war sehr viel wert in dieser Zeit.
Genauso wie ein Austausch unter Gleichgesinnten. Insofern fand ich die Netzwerk-Treffen so hilfreich, einfach um zu sehen, wie machen es andere und nicht ganz allein dazustehen. Das ist auch eine gewisse mentale Unterstützung.
Die Postdoc-Phase ist die kritische Phase, um sich für eine Professur zu qualifizieren. Als Frau gibt es eben eine biologische Grenze für die Familienplanung. Zu warten, bis die Professur in der Tasche ist, das ist einfach zu spät. Deshalb ist die Postdoc-Phase die entscheidende, in der eine Unterstützung sinnvoll ist.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf in anderen Ländern
Was ich in Australien sehr geschätzt habe, war, dass es ein Kinderbetreuungszentrum von der Uni direkt neben meinem Labor gab. Dort war etwa eine stundenweise Betreuung von Kindern ab drei Monaten möglich. Es gab auch einen Stillraum von der Universität aus, das heißt zum Stillen bin ich manchmal einfach nach nebenan gegangen.
Es wäre eine sehr große Hilfe, wenn es auch hierzulande Kinderbetreuungszentren in der Nähe der Universität geben würde, so wie es manche große Firmen auch haben. Wenn es dort ein flexibles Modell gäbe, das man stundenweise oder halbtagesweise in Anspruch nehmen könnte, das wäre sehr hilfreich. So könnten junge Eltern nochmal schnell ins Labor, während die Kinder ihren Mittagsschlaf machen. Das würde sehr helfen.
Ist es anders geworden, den wissenschaftlichen Karriereweg einzuschlagen?
Wenn ich auf meine Karriere zurückblicke, habe ich das Gefühl, dass sich sehr viel zum Positiven verändert hat. Vor 20 Jahren gab es noch keine Elternzeit oder Homeoffice. Auf der anderen Seite habe ich den Eindruck, dass wir damals etwas besser mit Unsicherheit umgehen konnten. Das mag natürlich auch an Entwicklungen wie dem Ukraine-Krieg und der Corona-Pandemie liegen, die viel Unsicherheit mit sich gebracht haben.
Das Sicherheitsbedürfnis vieler Studierender scheint größer zu sein, als es früher bei uns war. Ich wusste nie, ob ich mit meinem Studium irgendwann einmal Geld verdienen kann. Aber das war auch nicht so wichtig.
Sondern ich habe das gemacht, was mich interessiert hat und war auch bereit, dafür meine Abende und Wochenenden zu opfern. Deshalb ist mein Privatleben einige Jahre zu kurz gekommen. Aber das war damals eben so.
Das hat sich heute verändert. Die Ansprüche an eine gute Work-Life-Balance sind gestiegen. Deshalb würde ich sagen, die Umstände haben sich verbessert, aber das Mindset verhindert ein wenig, den nach wie vor unsicheren Weg auf eine Professur einzuschlagen.
Wie blicken Sie auf das zurück, was Sie erreicht haben?
Ich denke, ich bin nun am Ende meiner Karriereleiter angelangt und habe es nie bereut. Mittlerweile bin ich viel in Gremien, wissenschaftlichen Beiräten oder im Vorstand von Fachgesellschaften aktiv und seit sechs Jahren bin ich Vizepräsidentin für die Forschung bei uns an der Hochschule Geisenheim.
Prof. Annette Reineke
© Foto: Hochschule Geisenheim
Die Hochschulpolitik ist ein zusätzliches Feld, das sich nach und nach neben dem wissenschaftlichen Feld auftut, obwohl dies mit der Zeit auch zu viel werden kann. Seit meine Kinder aus dem Haus sind, habe ich wieder mehr Zeit für mich und mehr Freiraum. Da muss man aufpassen, dass es nicht zu viele Ämter und Aufgaben werden.
Ich bin glücklich mit meinem Job als Professorin. Mir macht es nach wie vor sehr viel Spaß mit den Studierenden. Und ich glaube, dass die Transformation der Landwirtschaft eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist. Der Pflanzenschutz ist eine der wichtigsten Aufgaben, die wir im Agrarsektor aktuell haben. Junge Menschen dafür zu begeistern und sie zu motivieren, Lösungen zu finden, ist ein Auftrag, den ich gerne umsetze.
Wir brauchen gut ausgebildete Expert:innen auf allen Ebenen, in der Praxis und in der Forschung. Etwa um Antworten auf den Klimawandel zu finden. Indirekt hängen wir alle von der Landwirtschaft ab, auch wenn das einem Großteil der Bevölkerung gar nicht bewusst ist. Als Professorin habe ich das Gefühl, für Lösungen zu den drängenden Fragen unserer Zeit beitragen zu können.
Aktuelle Forschung
An der Hochschule Geisenheim sind wir spezialisiert auf den Anbau von Sonderkulturen, also Weinbau und Gartenbau. Ich vertrete den Pflanzenschutz und beschäftige mich unter anderem damit, welche Auswirkungen der Klimawandel auf Schädlinge hat oder wie sich die Interaktionen von Schaderregern und Pflanzen verändern.
Der Weinbau ist dafür ein gutes Beispiel. Dort wirkt sich der Klimawandel auf allen Ebenen aus: Die Reben treiben früher aus, die Beeren reifen früher, die Aromastoffe im Wein verändern sich und das hat natürlich Auswirkungen auf das gesamte Management vom Pflanzenschutz bis zur Ernte. Dazu kommen Extremwetterereignisse wie Trockenheit oder Starkregen, so dass bestimmte Erreger entweder in einem Jahr gar nicht oder im nächsten Jahr mit sehr hoher Befallsstärke auftreten. Auf diese Unwägbarkeiten müssen sich die Betriebe einstellen und spontan reagieren. Bei Starkregenereignissen berichten die Medien oft über durch Hagel beschädigte Autos. Aber was das für Landwirt:innen bedeutet, darüber spricht kaum jemand.
Ein anderes großes Thema ist die Reduktion von chemischen Pflanzenschutzmitteln, wie es die EU vorschreibt. Gerade der Weinbau und der Apfelanbau sind sehr Pflanzenschutz-intensive Kulturen. Nach den Vorgaben der EU soll der Pflanzenschutzmittel-Einsatz bis 2030 um 50 Prozent gesenkt werden. Das müssen wir mit der Existenzsicherung der Betriebe zusammenzubringen. Da geht uns die Arbeit nicht aus. Es macht in der Landwirtschaft niemanden Freude, im Schutzanzug 30 mal pro Saison literweise Pflanzenschutzmittel zu versprühen. Aber ohne finanzielle Hilfen wird die Transformation nicht gelingen.
Angesichts dieser Herausforderungen, die uns bevorstehen, ist es nicht immer einfach, optimistisch zu bleiben. Eigentlich haben wir die Strategien, die für die Transformation nötig sind. Wir müssen sie nur klug umsetzen. Wir sind in einen globalen Markt eingebunden, und im Endeffekt hängt sehr viel vom Preis ab: Nämlich ob der Handel bereit ist, Ware abzunehmen oder nicht. Wahrscheinlich können wir es uns bald nicht mehr leisten, bei Wasserknappheit massenweise Erdbeeren in trockenen Regionen zu bewässern, nur damit sie das ganze Jahr über verfügbar sind. Wir brauchen wieder mehr Verständnis für regional und saisonal produzierte Nahrungsmittel. Ein Teil der Bevölkerung ist verständnisvoll, auch bereit und in der Lage, einen höheren Preis zu bezahlen. Aber das können sich nicht alle leisten.
Meine Motivation ist es, Studierende zu motivieren, nicht aufzugeben, sondern die Herausforderungen des Klimawandels anzupacken. Für viele Probleme kennen wir die Lösungen bereits seit vielen Jahren. Wir wissen, dass Fruchtfolgen die Bodengesundheit erhalten und den Schädlingsbefall reduzieren können. Genauso wie Mulchsaatverfahren gegen Trockenheit helfen können. Wir wissen auch, dass wir von Monokulturen wieder hin zu Mischkulturen kommen müssen. Doch für die Umsetzung brauchen Landwirt:innen politische Unterstützung, um das auch finanziell zu wuppen.
Steckbrief
Name: Annette Reineke
Jahrgang: 1968
Forschungsgebiet: Phytomedizin
Universität und Lehrstuhl: Lehrstuhl für Phytomedizin im Wein- und Gartenbau an der Hochschule Geisenheim
Kinder: 2 (23 & 20 Jahre)
Annette Reinekes Werdegang
einjähriges landwirtschaftliches Praktikum bei der damaligen Lehr- und Versuchsanstalt Eichhof in Bad Hersfeld
Studium der Agrarwissenschaften mit Schwerpunkt pflanzliche Produktion an den Universitäten Bonn und Hohenheim (1988 – 1994)
Praktika in Neuseeland, Frankreich und in der Pflanzenschutzberatung am Bodensee
Promotion am Institut für Phytomedizin der Universität Hohenheim (1998)
Postdoktoranden-Stipendium der DFG am Department of Molecular Ecology der Universität Adelaide, Australien (1999-2000)
Wrangell-Fellow an der Universität Hohenheim (2001 – 2005)
Habilitation am Institut für Phytomedizin der Universität Hohenheim (2006)
Gruppenleiterin im Department Entomology des Max-Planck-Instituts für Chemische Ökologie in Jena
Leitung des Instituts für Phytomedizin und Professur für Pflanzenschutz im Wein- und Gartenbau an der Hochschule Geisenheim (seit 2006)
Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für allgemeine und angewandte Entomologie und der Deutschen Phytomedizinischen Gesellschaft
Mitglied im Editorial Board verschiedener Fachzeitschriften
Gutachterin für diverse Gremien und Forschungsförderer
Vizepräsidentin für Forschung an der Hochschule Geisenheim (seit 2017)
Quelle
Interview mit Annette Reineke am 26.07.2023