100 Jahre Pflanzenernährung in Hohenheim

Pflanzenernährungsinstitut in den 1930 er Jahren
Pflanzenernährungsinstitut heute

Pflanzenernährungsinstitut in den 1930er Jahren und heute

Die Institutsgründung unter Margarete von Wrangell (1923 – 1932)

Hunger und Missernten in der Weimarer Republik

Vielen saß sie noch in den Knochen. Die Lebensmittelrationierung nach dem Ersten Weltkrieg. Lange Schlangen vor den Geschäften gehörten in Großstädten zum Alltag, denn Eier, Fisch, Kartoffeln, Brot, Butter oder Milch wurden nur mit Lebensmittelkarten ausgegeben. Das war nötig, weil im Ersten Weltkrieg Arbeitskräfte und Pferde fehlten und die Ernten eingebrochen waren. Auch Düngemittel wurden wegen der Blockadepolitik der Alliierten immer rarer und der Getreideertrag fiel von 27,1 Millionen Tonnen (1914) auf 17,3 Millionen Tonnen (1918).

Die abnehmenden Erträge führten zu Höchstpreisen für Lebensmittel, so dass vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten Hunger litten. Die Inflation, angetrieben durch die Reparationsforderungen der Alliierten, tat ihr Übriges, um die Lebensmittelpreise ins Unermessliche steigen zu lassen. Bis 1924 blieb der Hunger in Deutschland allgegenwärtig.

Kein Wunder, dass die preußische Regierung die Erträge steigern und sich auch mit Hilfe der Wissenschaft unabhängiger von Lebensmittel- und Düngeimporten machen wollte. So wurde 1923 das Institut für Pflanzenernährung an der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim gegründet. Phosphat war einer der drei Grundbestandteile von Mineraldünger, der im Gegensatz zu Stickstoff und Kalium, importiert werden musste.

Margarete von Wrangell, die erste Professorin des Lehrstuhls, konzentrierte sich in ihrer Arbeit vor allem auf die Verfügbarkeit von Phosphaten im Boden. Sie erkannte, dass bestimmte Pflanzen bei Vorhandensein saurer Düngemittel schwer lösliche Phosphate im Boden in pflanzenverfügbare Verbindungen umwandeln können. Um dieses Wissen nutzen zu können, entwickelte Margarete von Wrangell gemeinsam mit Friedrich Aereboe das „Düngungssystem Aereboe-Wrangell“, dessen Erfolg allerdings unter Agrikulturchemikern bereits damals schon höchst umstritten war.

Auch neuen Messmethoden trat Margarete von Wrangell sehr aufgeschlossen gegenüber. So gelang ihr mit einer neuen Methode der Nachweis, dass Pflanzen Bodennährstoffe nicht aus dem Boden selbst, sondern aus der Bodenflüssigkeit entnehmen. Ihr Labor war trotz der hohen Preise während der Inflation stets gut ausgestattet, was sie wohl auch ihrem guten Netzwerk verdankte. Nur acht Jahre nach ihrer Berufung erkrankte Margarete von Wrangell an einem Nierenleiden, von dem sie sich nicht mehr erholte und mit 55 Jahren im Stuttgarter Katharinenhospital starb.

Prof. Margarete von Wrangell 1928
© Foto: Grete Batzke

Prof. Maiwald in Hohenheim

Das Institut unter Kurt Maiwald (1932 – 1960)

Die Erzeugungsschlacht in der Weltwirtschaftskrise

Misthaufen. Sie prägten den Alltag am Institut unter von Margarete von Wrangells Nachfolger Kurt Maiwald. Unmittelbar nach ihrem Tod war er 1932 – damals als habilitierter Privatdozent an der Universität Breslau – dem Ruf auf den Lehrstuhl gefolgt und hatte gleichzeitig die Institutsleitung übernommen.

In Fachkreisen war er durch seine international vergleichenden Studien bekannt geworden, nun untersuchte er wissenschaftlich die Wirkung von Stalldünger auf das Pflanzenwachstum und die Humusbildung. Vor dem Schloss, in dem zu dieser Zeit auch die Oberschule (Vorläufer des heutigen Paracelsus-Gymnasiums-Hohenheim) untergebracht war, lagerte ein riesengroßer Misthaufen, der zahlreichen Versuchen diente.

Kurt Maiwald experimentierte unter anderem auch mit der Verwertung städtischer Abfallstoffe wie Klärschlamm. Und untersuchte, ob eine längere Kompostierung dabei half, Verunreinigungen wie Motoröl zu bereinigen.

Nur ein Jahr nach seinem Amtsantritt übernahm die NSDAP unter Hitler die Macht und begann, Wissenschaft und Bildung zu kontrollieren. Sie setzten Parteimitglieder in leitende Positionen der Universitäten ein und ließen den damaligen Staatssekretär im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft eine „Erzeugungsschlacht“ ausrufen. Deutschland sollte Selbstversorger werden und die Zeit der Missernten endgültig überwinden. Doch trotz verschiedenster Maßnahmen und der Fortführung des Programms bis 1944 gelang es nicht, Deutschland unabhängig von Importen zu machen. So verlagerte sich der Forschungsschwerpunkt am Institut von der Analyse der Nährstoffe im Boden hin zum Stoffumsatz und zu Ernteerträgen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges belegten die Alliierten viele Professoren im Zuge der Entnazifizierung vorübergehend mit einem Berufsverbot. Das traf auch Kurt Maiwald, der von 1948 bis 1950 nicht als Professor lehren durfte. So konzentrierte er sich ganz auf seine Versuche und wurde als Dolmetscher bei der amerikanischen Besatzungsmacht in Stuttgart herangezogen. Von Oktober 1949 bis Oktober 1950 war er mit seiner Familie in Ägypten und lehrte dort als Gastprofessor und war Berater der ägyptischen Regierung.

Als er nach Hohenheim zurückkehrte, wurde er 1952 zum Rektor ernannt. In seiner Antrittsrede äußerte er sich kritisch zu den Traditionen von Studentenverbindungen. „In Übereinstimmung (…) appellieren die Rektoren erneut an die Hochschulen, Senate und Studentenschaften, alles zu tun, damit nicht überhebliche Ehrvorstellungen wieder aufleben und in Erscheinung treten.“ Dabei zitierte er Rektor Trillhaas von der Universität Göttingen: „Das deutsche Volk will keinen Bierstudenten mehr. Es verabscheut ihn.“ Und „Eine nationale Ehre wird nie mehr gewonnen werden, wenn wir nicht aus der Atmosphäre feuchter Lieder, der Überheblichkeit und der großtuerischen Unreife endlich herauskommen und in Bescheidenheit auch den anderen Völkern und Rassen dieselbe Ehre und dasselbe Verständnis entgegenbringen, das wir von ihnen erwarten.“

Prof. Maiwald mit seiner Familie in Kairo

Prof. Maiwald bei seiner Antrittsrede als Rektor in Hohenheim

Kurt Maiwald waren Beziehungen ins Ausland stets wichtig gewesen. Doch nach den Kriegen mussten diese erst langsam wieder aufgebaut werden – etwa indem ganze Gruppen von Studierenden offiziell eingeladen wurden. Unter der Leitung von Kurt Maiwald kamen eine iranische und eine ägyptische Studentengruppe nach Hohenheim und die Zahl ausländischer Studierender, die einst verhältnismäßig hoch gewesen war, stieg wieder an.

Sorgen bereiteten Kurt Maiwald die stark schwankenden Hörerzahlen, weil die Finanzierung der Hochschule daran festgemacht wurde. Während die Studentenzahl im Jahre 1923 auf über 1.000 hochgeschnellt war und die Dozenten 1948 sogar einige Vorlesungen doppelt halten mussten, weil der Hörsaal aus allen Nähten platzte, lag sie 1953 nur bei etwa 400. Schließlich wurde die Staatliche Zentralstelle für die Landwirtschaft in Stuttgart aufgehoben, die Hohenheim stets mit Zuschüssen bedacht hatte. Es entstand eine schmerzliche finanzielle Lücke.

Doch Kurt Maiwald ließ sich weder davon noch von Kritikern ins Boxhorn jagen. Immer wieder wurden Stimmen laut, die fragten, ob eine Düngung von Nahrungsmitteln überhaupt erforderlich sei. Als Alternative galt die „biologisch-dynamische Wirtschaftsweise“ von Rudolf Steiner. Davon distanzierte sich Kurt Maiwald in einer Ansprache: „Wenn Dr. Ehrenfried Pfeiffer (…) die nach anthroposophischen Gedankengängen hergestellten Düngerpräparate Nr. 500 – 508 in einem nordamerikanischen Staatsinstitut spektrographisch untersuchen ließ, so ist dies ein wertloser analytischer Aufputz seines Textes. Sein Verfahren muss vom wissenschaftlichen Standpunkt abgelehnt werden, weil die zufällige Herkunft und die unkontrollierte Vorbehandlung der von ihm zur Untersuchung eingeschickten Proben in einem krassen Missverhältnis steht zu der darauf angewandten äußerst feinen Analysenmethode.“ Er legte stets viel Wert auf wissenschaftlich belegte Versuchsergebnisse.

Prof. Kurt Maiwald vertritt Deutschland beim internationalen OEEC (heute OECD)

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„Es kann sein, dass nicht alles wahr ist, was ein Mensch dafür hält, denn er kann irren. Aber in allem was er sagt, muss er wahrhaftig sein. Er soll nicht täuschen.“

Immanuel Kant

Die jüngste Tochter von Professor Maiwald

Zeitzeugin Dietlinde Dobberthien erinnert sich

„Die Pädagogische Provinz Hohenheim nannte sie mein Mann scherzhaft“, erinnert sich Dietlinde Dobberthien. Es ging alles sehr familiär zu und jeder kannte jeden. Damals glich die Hochschule einem großen landwirtschaftlichen Gutsbetrieb mit Gartenbauschule, Viehställen, Pferdewagen, Ochsengespannen und Traktoren. Es gab alles, was wir zum täglichen Leben brauchten: Einen Tante-Emma-Laden an der damaligen Endhaltestelle der Filderbahn, eine Bäckerei, eine große Gärtnerei und natürlich frische Milch.

Ich ging als Vorschulkind (mein einziger Kindergarten war damals die sonntägliche Kinderkirche im heutigen Museum im Exotischen Garten) mit meiner Mutter täglich auf Einkaufstour für die Familie. Wenn wir jemanden trafen, wurde meine Mutter mit „Frau Professor“ angesprochen. Sie selbst hatte nicht studieren dürfen, obwohl sie eine Arzttochter war. Doch das Studium war nur ihren Brüdern vorbehalten. So wurde meine Mutter eine chemisch-technische Assistentin und lernte als solche meinen Vater kennen. Umso erstaunlicher war es für mich, wie sehr Margarete von Wrangell von diesem Frauenbild abgewichen ist.

Im oberen Stockwerk des Instituts bewohnten wir die Wohnung von Margarete von Wrangell. Bei uns spielte sich das Leben in unserem Kinderzimmer ab: Auf dem angrenzenden Balkon trank man Kaffee, drinnen lernte meine Mutter mit uns für die Schule, daneben lag das Elternschlafzimmer. Um die Ecke herum kam der Salon, auf der anderen Seite das Esszimmer, Küche und Speisezimmer und alles wurde von den schweren verzierten Öfen aus Wasseralfingen beheizt, weil es noch keine Zentralheizung gab. Dazwischen ein langer Flur, der für alle Professoren-Kinder eine Attraktion war, weil dort ein Tretauto stand. Unter uns befand sich das Dienstzimmer meines Vaters, auf dem Stockwerk der Wohnung befand sich der Hörsaal, der uns Kinder faszinierte, weil er wie ein Amphitheater gebaut war.

Wenn meinem Vater das Familienleben zu laut wurde, verschwand er nach unten in sein Dienstzimmer, das über und über mit Büchern gefüllt war. Als in den 50er Jahren die Zentralheizung eingebaut wurde, legten wir Kinder uns heimlich auf den Fußboden vor die Löcher für die Heizungsrohre, um zu horchen, wie dort unten geprüft wurde. Natürlich haben wir nichts von der Fachsprache verstanden. Wenn ich am Wochenende dort Cello üben durfte, stand ich vor den Regalen. Vor allem Immanuel Kant hatte es meinem Vater angetan und ein Zitat prangte an der Wand: „Es kann sein, dass nicht alles wahr ist, was ein Mensch dafür hält, denn er kann irren. Aber in allem was er sagt, muss er wahrhaftig sein. Er soll nicht täuschen.“

Sobald es regnete, herrschte reges Treiben vor dem Institut. Oft stand ich auf dem Balkon des Pflanzenernährungsinstitutes und sah zu, wie die Assistenten, Studenten und Arbeiter mit ihren weißen und blauen Kitteln nach draußen rannten und eilig die Wagen mit den Pflanzen unters Dach fuhren. Schließlich sollten die Messergebnisse nicht verfälscht werden. Jeden Tag wurde genau dokumentiert, wieviel Wasser die Pflanzen bekamen.

Promotionen waren damals noch etwas Besonderes. Ich weiß noch, wie der Doktorand meines Vaters von seinem Rigorosum abgeholt wurde. Sie hatten für ihn einen Ochsenwagen zurechtgemacht. Er hatte über Gülle promoviert, und auf dem Wagen war ein Klohäuschen installiert und drumherum hatten sie Birken und andere Bäume platziert. Der Doktorand saß mit seinem Doktorhut im Klohäuschen, winkte den Zuschauern zu und wurde gefeiert. So zogen sie durch ganz Hohenheim.

Tatsächlich drehte sich bei meinem Vater viel um Stallmist. Einmal bin ich sogar beim Versteckspielen in ein Gülleloch gefallen. Ich weiß auch noch, wie mein Vater mit dem Oberassistenten diskutierte, der in der Wohnung schräg über uns wohnte. Es ging darum, wie man rechtfertigen kann, dass Pflanzen gedüngt werden müssen. Mein Vater hat sich immer gegen den Begriff „Kunstdünger“ gewehrt, weil für ihn klar war, dass Dünger aus natürlichen Substanzen gewonnen wird. Deshalb sprach er lieber von „Handelsdünger“. Es war ihm auch sehr wichtig, dass alle Studenten vor dem Studium zwei Jahre lang ein Praktikum auf einem Gutshof machen mussten. Darauf legte er viel wert, denn er wollte nie nur chemisch etwas herstellen, sondern stets die Natur mit einbeziehen.

Porträtbild Dietlinde Dobberthien

Dietlinde Dobberthien, jüngste Tochter von Prof. Maiwald erinnert sich als Zeitzeugin

Der Sommer war für uns Kinder etwas Besonderes. Dann trafen sich Studenten, Professoren und ihre Familien in der „akademischen Badewanne“ im botanischen Garten. Das war ein kleines Naturschwimmbecken ohne Chlor, in dem ich schwimmen lernte. Es hieß immer, jedes Hohenheimer Kind sei einmal von einem Studenten vorm Ertrinken gerettet worden. Außerdem fand jedes Jahr vor dem Schloss das große Sommerfest statt. Im Schloss wohnte damals Professor Rademacher mit seiner Frau und seinen vier Kindern. Wenn das Fest anstand, durften wir Kinder zu den Rademachers gehen und uns auf den Zwischenböden auf den Bauch legen. So konnten wir das gesamte Tanzgeschehen beobachten. Überhaupt gab es regelmäßig Konzerte im Balkonsaal. Mein Vater liebte die Musik und ich weiß noch, wie das Hochschulorchester und Studierende der Musikhochschule gemeinsam spielten. Was war ich stolz, als ich mit 17 Jahren das erste Mal mitspielen durfte.

Ich hatte eine sehr glückliche Kindheit und erinnere mich noch, wie die Marschners 1960 mit ihrem Baby nach Hohenheim kamen und in die Wohnung über uns einzogen. Auch Professor Michael mit seiner Tochter habe ich kennengelernt, der später im gleichen Mietshaus im Steckfeld wohnte, wie meine Mutter. Leider habe ich meine Eltern früh verloren. Kurz vor seinem 60. Geburtstag musste mein Vater ins Krankenhaus. Damals wussten wir nicht, was los war, nur dass er kurz zuvor einen Sturz gehabt hatte. Ich weiß noch, wie mein Vater uns sagte, dass er nicht mehr an die Universität zurückkehren würde und über seinen Nachfolger nachdachte: „Hoffentlich ist es nicht jemand, der nur Laborarbeiten macht“, sagte er. Nur wenig später starb er an einem unentdeckten Aneurysma nah am Herzen.

Das Interview mit Dietlinde Dobberthien, geb. Maiwald (Jahrgang 1942) fand am 5. Mai 2023 im Augustinum Stuttgart-Sillenbuch statt. Als Zeitzeugin sprach Frau Dobberthien zugleich im Namen ihrer drei verstorbenen älteren Geschwister: Gisela Maiwald (1934 – 2021), Hiltrud von Loewenich, geb. Maiwald (1936 – 2022), Dr. Dietrich Maiwald (1938 – 2010) und wollte damit ihren früh verstorbenen Eltern für eine wunderbare Kindheit danken.

Porträt Gerhard Michael

Prof. Gerhard Michael

Das Institut unter Gerhard Michael (1960 – 1976) 

Reiche Ernte im Kalten Krieg

Kaum einer konnte mit Vorträgen so begeistern wie er: Professor Gerhard Michael, der dritte Lehrstuhlinhaber nach Margarete von Wrangell. Seine Leidenschaft war legendär, und er war dafür bekannt, selbst Diplomanden und Doktoranden aus benachbarten Fachdisziplinen mit seinen Vorträgen anzusprechen. Die Betreuung der Studierenden lag ihm stets sehr am Herzen.

Nach dem plötzlichen Tod von Kurt Maiwald übernahm Gerhard Michael 1960 den Lehrstuhl und die Leitung des Instituts. Zuvor war er Dozent am Institut für Pflanzenernährung und Bodenbiologie der Humboldt-Universität zu Berlin gewesen. Doch die politische Einflussnahme der SED in Ostdeutschland machte ihm zu schaffen. Ein Jahr vor dem Mauerbau verließ er 1960 die DDR, weil er glaubte, die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre sei dort nicht mehr gewährleistet.

Für die Bundesrepublik war die Zeit des Mangels an Nahrungsmitteln endgültig vorbei. Fortschritte in der Pflanzenzüchtung, Mechanisierung, Flurbereinigung und Mineraldüngung führten zu einer Überproduktion. So verlagerte sich der Forschungsschwerpunkt unter Gerhard Michael hin zur Qualität der Nahrungsmittel. Es ging vor allem um Erträge und die Zusammensetzung von Fett und Proteinen in den Ernteprodukten, aber auch um genauere Messmethoden. Michael führte die Isotopentechnologie am Institut ein und wollte die naturwissenschaftlichen Methoden für die praktische Anwendung nutzbar machen. „Nicht ewig lehren, Was Menschen denken, sondern Wie sie denken sollen“ von Georg Christoph Lichtenberg, war sein Leitspruch.
Als einer der ersten Agrarwissenschaftler untersuchte er die Bewegung von Nähr- und Schadstoffen in Pflanzen und Böden mit der Isotopentechnik und gab Düngungsempfehlungen heraus. Außerdem untersuchte er die Rolle von Phytohormonen für das Pflanzenwachstum sowie den Einfluss von Umweltfaktoren auf den Reifeprozess. Im Rahmen eines Programms der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) arbeitete er interdisziplinär mit Wissenschaftler:innen an Speicherprozessen von Kulturpflanzen und der Qualität landwirtschaftlicher Produkte.

Vier Jahre nach seiner Berufung wurde er in der Amtsperiode 1964/65 Dekan der Fakultät Agrarwissenschaften und blieb bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1976 Institutsleiter. Nach seinem Ausscheiden bewohnte Gerhard Michael noch weiterhin ein kleines Dachzimmer des Instituts und blieb so der Universität Hohenheim auch räumlich verbunden.

Institutsmitarbeiter unter Horst Marschner (1976 – 1996)

Das Institut unter Horst Marschner (1976 – 1996)

Moderne Technik, Umweltbewusstsein und die deutsche Wiedervereinigung

Unter ihm kam das Institut zu internationalem Ansehen: Horst Marschner. Der Nachfolger von Gerhard Michael hatte genau wie Kurt Maiwald bei Studienaufenthalten in Kalifornien und Südaustralien in den siebziger Jahren vielfältige internationale Kontakte geknüpft. Horst Marschners großes Ziel war es, die Lebensbedingungen der Menschen mithilfe der Agrarforschung zu verbessern. Gemeinsam mit zahlreichen Doktoranden untersuchte er vor allem die komplexen Probleme der Anpassung landwirtschaftlicher Kulturpflanzen an nährstoffarme Böden.

Vor allem China hatte es Horst Marschner angetan. Nach der Kulturrevolution gehörte er gemeinsam mit Erwin Martin Reisch zur ersten Generation ausländischer Forscher, die den Kontakt mit chinesischen Kollegen aufnahmen und pflegten. Dafür wurde Horst Marschner von der chinesischen Regierung mit dem höchsten Preis für ausländische Experten geehrt.

Porträt Horst Marschner

Prof. Horst Marschner

Horst Marschner arbeitete gern interdisziplinär und führte auch am Institut internationale Forschergruppen zusammen. Er selbst nahm an Landbauprojekten in der Türkei und Westafrika teil.

Was ihn besonders interessierte waren die Wurzelhaare, die Mykorrhiza, und wie die Aufnahme von Nährstoffen und ihr Transport in der Pflanze ablief. Horst Marschner untersuchte vor allem Phosphor, Cäsium, Zink und Eisen und konnte dafür moderne Analysemethoden und Labortechnik nutzen. Die weiterentwickelte Computer-Technologie vereinfachte den internationalen Austausch der Forschungsergebnisse enorm. Gleichzeitig wuchs in der Gesellschaft das Umweltbewusstsein, und die Verseuchung von Böden durch Schwermetalle oder die Wasserverschmutzung rückte in den Fokus.
Für Horst Marschner wurde ein Besuch eines landwirtschaftlichen Forschungsprojektes in Westafrika zum Verhängnis. Nach seiner Rückkehr starb er 1996 unerwartet an den Folgen einer Malaria-Infektion im Alter von 66 Jahren.

Gruppenbild Institutsmitarbeiter unter Nicolaus von Wirén

Institutsmitarbeiter unter Nicolaus von Wirén (2001 – 2010)

Porträt Horst Marschner

Prof. Nicolaus von Wirén

Das Institut unter Nicolaus von Wirén und seinen Nachfolgern (1996 – 2023)

Faszination im Kleinen: Die Welt der Moleküle und Mikronährstoffe

Immer weiter ins Detail. So könnte man die Forschung am Institut für Pflanzenernährung seit 1996 zusammenfassen. Im Jahr 2001 wurde der junge Wissenschaftler Nicolaus von Wirén, der auf dem Gebiet der Molekularbiologie forschte, als Nachfolger von Horst Marschner auf den „von Wrangell“-Lehrstuhl berufen. Nicolaus von Wirén beschäftigte sich mit der Nährstoffaufnahme über die Wurzeln sowie der pflanzlichen Nährstoffeffizienz.

Als er zum Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben wechselte, folgte ihm Uwe Ludewig im Jahr 2010 für das Fach Ernährungsphysiologie der Kulturpflanzen, das er bis heute leitet.

Uwe Ludewig  beschäftigt sich hauptsächlich mit Transportprozessen an den Wurzeln und in Pflanzen. Dabei untersucht er vor allem, wie über Zellmembranen der Transport von Nährstoffen wie Ammonium, Stickstoff oder Phosphor reguliert wird. Uwe Ludewig möchte die genetischen und molekularen Grundlagen der Nährstoffaufnahme und -verteilung verstehen, um Nutzpflanzen fit für den Klimawandel zu machen und den Düngemittelverbrauch zu senken.

Je spezialisierter die Forschung am Pflanzenernährungsinstitut wurde, desto mehr wuchs es. Seit Margarete von Wrangells Gründung sind neue Fachgebiete hinzugekommen und mittlerweile im Institut für Kulturpflanzenwissenschaften vereint.

Gruppenbild Institutsmitarbeiter unter Uwe Ludewig und Torsten Müller

Institutsmitarbeiter unter Uwe Ludewig

Das Institut unter Uwe Ludewig (seit 2010)

Vielfältige Forschung

Auch für die aktuelle Forschung spielt Phosphat nach wie vor eine wichtige Rolle, genau wie bei Margarete von Wrangell. So untersuchen Torsten Müller vom Lehrstuhl „Düngung und Bodenstoffhaushalt“ und Uwe Ludewig, wie sich Phosphat aus Bioabfällen, häuslichem Abwasser oder Gärresten aus der Biogasanlage zurückzugewinnen lässt. Denn nach gut 100 Jahren sind die weltweiten Phosphatvorkommen bald erschöpft.

Umso wichtiger ist es, im Sinne der Bioökonomie eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft für Phosphat zu etablieren. Damit bleibt das Institut bis heute seinen Ursprüngen verbunden.

Die gestiegene Bedeutung des Pflanzenernährungsinstitut zeigt auch die Zahl der Professoren, die neben den direkten Nachfolgern von Margarete von Wrangell berufen wurden:

Porträtbild Uwe Ludewig

Prof. Uwe Ludewig

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Walter J. Horst

1981-1987

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Norbert Claassen

1990-1991

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Volker Römheld

1992-2008

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Sven Schubert

1992-1997

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Torsten Müller

seit 2004

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Günter Neumann

seit 2010

Weitere Informationen

Mehr Informationen über die Geschichte der Landwirtschaft in Deutschland stehen auf der Webseite des Deutschen Landwirtschaftlichen Museum der Universität Hohenheim.

Quellen

5

1818 – 1953 aus „Werdegang einer landwirtschaftlichen Hochschule“ (beim Festakt 20.11.1953) Am 20. November 1818 begannen die landbauwissenschaftlichen Vorlesungen des Landwirtschaftlichen Institutes Hohenheim.

5

modifiziert aus Hamann, Helena (2011): Die Geschichte des Instituts für Pflanzenernährung der Universität Hohenheim. Masterarbeit, Inst. f. Kulturpflanzenwissenschaften, Universität Hohenheim, S. 102

5

„Bodenbiologie und Pflanzenernährungslehre vor neuen Aufgaben“, Reden von Dr. Kurt Maiwald und Dr. Bernhard Rademacher, Landwirtschaftliche Hochschule Hohenheim, Reden und Abhandlungen, Ausgabe Nr. 5, erschienen im Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart / Z.Z. Ludwigsburg

5

„Geschichte des Instituts für Pflanzenernährung“, Poster von Helena Hamann, Uwe Ludewig, Jochen Streb, Torsten Müller und Präsentation

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